1. Ausgangslage

Die Entscheidung des BGH vom 27.3.2019 befasst sich mit der Frage, ob ein personenberechtigter Elternteil einen Anspruch gegen den umgangsberechtigten Elternteil auf Herausgabe des Kinderreisepasses (und umgekehrt) hat und auf welcher Rechtsgrundlage dieser Anspruch beruht.

2. Inhalt der Entscheidung

Die Kindesmutter und Beteiligte zu 1 und der Kindesvater und Beteiligter zu 2 sind die Eltern ihres im Januar 2016 geborenen Kindes. Die Kindeseltern sind nicht verheiratet, leben getrennt und üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Das Kind hat aufgrund einer entsprechenden Elternvereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter. Diese stammt aus Kamerun, hat in Deutschland Asyl beantragt und möchte nach Erlangung des Realschulabschlusses hier weiter die Schule besuchen. Die beteiligten Eltern streiten um die Herausgabe des im Besitz des Kindesvaters befindlichen Kinderreisepasses. Das Amtsgericht hat den Vater antragsgemäß zur Herausgabe des Passes an die Kindesmutter verpflichtet. Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde des Kindesvaters die angefochtene Entscheidung abgeändert und den Antrag auf Herausgabe des Passes mit der Begründung, eine Rechtsgrundlage hierfür sei nicht ersichtlich, abgelehnt. Ein Anspruch ergebe sich weder aus den Vorschriften des § 1632 Abs. 1 BGB oder § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB noch aus besitzrechtlichen oder sonstigen rechtlichen Gesichtspunkten.

Auf die von der Kindesmutter eingelegte Rechtsbeschwerde hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Beschwerde des Kindesvaters zurückgewiesen.

3. Einordnung der Entscheidung

Der BGH hat die Verpflichtung eines Elternteils, den Kinderreisepass an den anderen Elternteil herauszugeben, aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB abgeleitet.

4. Bedeutung der Entscheidung des OLG für die Praxis

In der Rechtsprechung und Literatur war es bisher umstritten, ob es einen solchen Herausgabeanspruch gibt, und falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage er beruht.

Bereits im Jahr 1984 hatte das OLG Hamburg darauf hingewiesen, dass es an einer ausdrücklichen Anspruchsgrundlage fehle und eine Gesetzeslücke bestehe, die dringend der Schließung bedürfe.[1]

Nach der überwiegend vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur sollte eine Anspruchsgrundlage gegeben sein. Es wurden hierzu unterschiedliche Rechtsgrundlagen herangezogen. Zum Teil wurde auf eine extensive Auslegung des § 1632 Abs. 1 BGB ("Die Personensorge umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält.") abgestellt[2] oder das Verfahren als Sorgerechtsverfahren angesehen, weil der Besitz von Kinderausweisen und Personalausweisen zur Ausübung der elterlichen Sorge erforderlich sei.[3] Nach einer anderen Auffassung regelte sich die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Gegenstände und damit auch bzgl. des Impfpasses und des Untersuchungsheftes als Annex zum Unterhaltsanspruch nach §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB.[4] Eine weitere Meinung hat den Herausgabeanspruch aus § 1618a i.V.m. § 242 BGB abgeleitet,[5] wiederum eine andere hat einen analog anzuwendenden Unterhaltsanspruch des Kindes nach § 1610 Abs. 2 BGB herangezogen.

Der BGH hat ebenso wie Peschel-Gutzeit[6] einen Herausgabeanspruch der Mutter (bzw. des Kindes) aus § 985 BGB abgelehnt, weil sowohl der Personalausweis als auch der Reisepass im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehen (§ 4 Abs. 2 PAuswG und § 1 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 PassG). Possessorische Ansprüche der Mutter oder des Kindes aus § 861 i.V.m. § 858 BGB und konkurrierende Ansprüche aus § 823 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 858 BGB scheiden nach Auffassung des BGH ebenfalls aus, weil in den Fällen der vorliegenden Art der Umstand, dass sich ein Elternteil im Besitz des Ausweises befindet, regelmäßig nicht auf verbotener Eigenmacht beruht.

Der BGH hat die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB – Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte – bejaht, weil der Gesetzgeber sein im Jahr 1974 geäußertes Ziel, den Herausgabeanspruch wegen seiner Ähnlichkeit zum Besitzanspruch als materiell-rechtliche Vorschrift auszugestalten, aus den Augen verloren und sich mit der verfahrensrechtlichen Regelung in § 50d FGG abgefunden hatte. Denn § 50d FGG diente trotz seines verfahrensrechtlichen Charakters jedenfalls auch als (materiell-rechtliche) Anspruchsgrundlage für die Herausgabe.[7] Durch das FGG-Reformgesetz ist § 50d FGG (bzw. § 620 S. 1 Nr. 8 ZPO) mit Wirkung vom 1.9.2009 aufgehoben worden. Dass damit die "Rechtsgrundlage" für die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen entfallen und nicht mit einer anderen Norm ersetzt worden ist, hat der Gesetzgeber ersichtlich übersehen.

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen, denn aus dem Sinn und Zweck der Regelungen zur Personensorge und dem Umg...

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