Sehr häufig sind für Beteiligte, die verfahrenskostenhilfebedürftig sind, Rechtsmittel zu führen. Dies wirft vielfältige verfahrensrechtliche Probleme auf, die letztlich im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu lösen sind. Wie ist ein Vorgehen zu beurteilen, bei dem ein Rechtsanwalt auftragsgemäß und fristgerecht gegen eine Entscheidung des FamG Beschwerde einlegt verbunden mit dem Antrag, die Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, und wenige Tage später – ebenfalls beim Ausgangsgericht – unter Beifügung des nicht unterschriebenen Entwurfs einer (an das OLG adressierten) Beschwerdebegründung Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens beantragt. Der BGH hat dazu ausgeführt:

Ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer Frist wahrenden Handlung – wie hier der Beschwerdebegründung – verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen musste, weil er sich für bedürftig i.S.d. §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden konnte. Deshalb kann ein unbemittelter Beteiligter, für den ein Anwalt zwar formularmäßig Beschwerde eingelegt hat, ohne sie zu begründen, der aber keinen Verfahrensbevollmächtigten hat, der gewillt ist, für ihn weiter tätig zu werden, selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Verfahrenskostenhilfegesuch einreichen. Die Beschwerde darf dann nicht mit dem Argument verworfen werden, dass innerhalb der Begründungsfrist noch keine Beschwerdebegründung eingereicht worden sei, sondern es ist grundsätzlich zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden.

Die Mittellosigkeit eines Beteiligten stellt allerdings nur dann einen Entschuldigungsgrund i.S.v. § 233 ZPO dar, wenn sie die Ursache für die Fristversäumung ist. Das ist dann der Fall, wenn sich der Beteiligte infolge der Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung seines Rechtsmittels zu beauftragen. Ist der bedürftige Beteiligte bereits anwaltlich vertreten und legt sein Rechtsanwalt uneingeschränkt Beschwerde ein, muss er glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die wirksam eingelegte Beschwerde im Weiteren ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgerecht zu begründen. Das ist keine Rechts-, sondern eine Sachverhaltsfrage, die das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren aufgrund der für die Wahrscheinlichkeitsfeststellung i.S.v. § 236 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO gebotenen Prüfung der Fallumstände beantworten muss. Dabei wird im Regelfall vermutet, ein Beteiligter sei bis zur Entscheidung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen, wie er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss. Erschüttern besondere Fallumstände diese Vermutung, ist die vorgenannte Beweisfrage damit noch nicht unwiderleglich beantwortet, sondern muss das Gericht prüfen, ob eine Kausalität der Mittellosigkeit für das Fristversäumnis anderweitig glaubhaft gemacht ist. Selbst wenn dies misslingt, ist dem Beteiligten unter Umständen noch Gelegenheit zum Beweisantritt zu geben.[12]

Von einer ausreichenden Glaubhaftmachung kann ausgegangen werden, wenn das Verhalten des Rechtsanwalts objektiv belegt, dass die Tätigkeit im Beschwerderechtszug allein auf die Einlegung des Rechtsmittels und die Stellung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beschränkt werden sollte und er nicht mehr bereit war, anderweitige Verfahrenshandlungen zur Förderung des Beschwerdeverfahrens vorzunehmen.

[12] BGH NJW-RR 2018, 6 = FamRZ 2018, 120.

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