Durch Beschluss vom 25.1.2011 wurde die vom BGH entwickelte Rechtsprechung zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" vom BVerfG[81] wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG für verfassungswidrig erklärt. Vom Gericht wurde die geäußerte Kritik dahin bestätigt, dass mit der Berücksichtigung des Unterhalts des neuen Ehegatten bereits beim Bedarf jeglicher Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) verloren gehe und die – vom Gesetzgeber normierte – Unterscheidung zwischen Bedarf und Leistungsfähigkeit aufgehoben würde. Das war Anlass für den BGH, eine Rückkehr zum Stichtagsprinzip vorzunehmen.[82] Danach bleibt es (wie früher) dabei, dass nach Rechtskraft der Scheidung eintretende Veränderungen nur dann als "prägend" anzusehen sind, wenn sie

entweder unabhängig von der Ehescheidung eintreten, z.B. im Fall des Rentenbeginns[83]
oder bei Scheidung bereits angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren, z.B. bei Wegfall von Darlehensverpflichtungen[84] bzw. Kindesunterhalt,[85] unverschuldeter Einkommensminderung[86] oder bei Unterhaltspflichten für vor Rechtskraft der Scheidung (ehelich oder außerehelich) geborene Kinder.[87]

Aus dogmatischer Sicht ist damit "die Welt wieder in Ordnung"; die praktische Handhabung ist dagegen erneut komplizierter geworden, denn es sind Doppelberechnungen vorzunehmen, und der zunächst ermittelte Bedarf muss im Rahmen der Leistungsfähigkeit korrigiert werden, außer bei zusätzlich vorhandenen Einkünften aufseiten des Schuldners.[88] Das widerspricht dem erklärten Ziel der Unterhaltsrechtsreform, durch die neue Rangordnung Doppelberechnungen nach Möglichkeit zu vermeiden.[89] Hierin wird teilweise sogar der Grund gesehen, dass viele junge Richter nicht mehr bereit sind, Familienrichter zu werden;[90] dafür wird es aber wohl doch noch andere Überlegungen geben.

[81] BVerfG NJW 2011, 836 = FamRZ 2011, 437; siehe dazu Götz/Brudermüller, NJW 2011, 801; Gerhardt/Gutdeutsch, FamRZ 2011, 597; Maurer, FamRZ 2011, 849; Born, FF 2011, 136.
[82] BGH NJW 2012, 384 = FamRZ 2012, 281 m. Anm. Born, FF 2012, 118; vgl. Dose, FF 2012, 227; gegen das BVerfG: Gerhardt, in: Wendl/Dose, § 4, Rn 428; für völlige Abkehr vom Stichtagsprinzip: Obermann, NZFam 2014, 577.
[84] BGH FamRZ 1987, 459.
[85] BGH FamRZ 1988, 701.
[86] BGH FamRZ 2003, 540.
[87] BGH FamRZ 2014, 1183; BGH FamRZ 2012, 281.
[88] Zu Einzelheiten Gerhardt, in: Wendl/Dose, § 4, Rn 431 a; § 1, Rn 1122 m. Berechnungsbeispiel.
[89] BT-Drucks 16/1830, 24.
[90] So Gerhardt, in: Wendl/Dose, § 4, Rn 431 a.

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