Zu: BGH, Beschluss vom 1.2.2017 – XII ZB 601/15 (FF 2017, 152 m. Anm. Keuter)

I. Der BGH befasst sich mit der Frage, ob und auf welcher Rechtsgrundlage ein paritätisches Wechselmodell auch ohne entsprechenden Konsens beider Elternteile gerichtlich angeordnet werden kann. Dabei wird allein eine umgangsrechtliche Begründbarkeit einer solchen Anordnung geprüft (und – im Gegensatz zur herrschenden Meinung[1] – im Ergebnis bejaht); eine entsprechende sorgerechtliche Begründbarkeit wird ausdrücklich offengelassen (Beschluss Rn 15). Ob der BGH damit zum Ausdruck bringen will, dass eine umgangsrechtliche und eine sorgerechtliche Qualifikation des "Wechselmodells" nebeneinander und wahlweise zulässig sind, bleibt unklar – rechtsmethodisch wäre das allerdings kaum vertretbar.

II. Dem Senat ist darin beizupflichten, dass die gesetzlichen Regelungen zur elterlichen Sorge nach Elterntrennung (insbesondere §§ 1671, 1684, 1687 BGB) zwar am Residenzmodell ausgerichtet seien, hieraus aber keine negative Aussage bezüglich anderer Betreuungsmodelle, wie insbesondere des Wechselmodells, gefolgert werden könne. Die gesetzliche und praktisch übliche Aufspaltung in einen hauptsächlichen Aufenthalt und einen Besuchsaufenthalt des Kindes sei – so der BGH (Rn 19) – nicht gesetzlich generell vorgegeben, ein Hauptwohnsitz werde nur für bestimmte Einzelfragen gefordert (z.B. Melderecht, Sozialleistungen etc.).

III. Weniger überzeugend ist die (verneinende) Position des BGH zu der streitigen Frage, ob die Anordnung eines Wechselmodells einen entsprechenden Konsens der Eltern voraussetzt (Rn 26).[2] Wäre dies der Fall, drohten zwar Blockaden durch den nicht-kooperativen Elternteil. Andererseits lassen es die hohen menschlichen und organisatorischen Voraussetzungen eines Wechselmodells doch als zweifelhaft erscheinen, ob aufgezwungene intensive Kooperation kindgerecht funktionieren kann: Gestaltungen des Sorgerechts sollen dem Kindeswohl dienen, sie sind kein Erziehungsmittel für unkooperative Eltern. Der Ansatz des BGH öffnet jedenfalls das Tor für eine Vielzahl von Sorgerechtsverfahren, in denen es mehr um elterliche Gleichberechtigung als um das Wohl des Kindes geht.

IV. Unklar bzw. nicht überzeugend sind die weiteren Ausführungen zum vom BGH bejahten Konzept eines "Wechselmodell(s) als Umgangsregelung gemäß § 1684 BGB" (neben Rn 19 auch Rn 22, 23). Dies betrifft schon die ambivalente, unklare rechtliche Zuordnung des elterlichen Betreuungsmodells durch den BGH selbst: Einerseits wird (mit der Vorinstanz) bejaht, "dass es sich bei der Festlegung eines bestimmten Betreuungsmodells um eine Frage der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge handelt" (Rn 20). Bei einer Umgangsregelung, so der BGH, verhalte es sich aber praktisch ebenso. Während der BGH zunächst die im Wechselmodell praktizierte Betreuung "als eine dementsprechende Sorgeausübung" bezeichnet (Rn 20 S. 1)[3] und die Einstufung eines Betreuungsmodells als "Frage der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge" (a.a.O. S. 2), so sei letztlich das Gleiche der Fall bei Festlegung des Umgangsrechts: Dieses greife stets und wesensmäßig in die Ausübung des Sorgerechts des anderen Elternteils ein – je nach Vereinbarung oder Anordnung nur quantitativ in unterschiedlichem Ausmaß. Das ist offenbar so zu verstehen, dass nach dem Konzept des BGH die "umgangsrechtliche Regelung" vorgibt, wieviel "Sorgerecht" bei jedem Elternteil besteht bzw. verbleibt – wobei das Gericht (in gewissem Widerspruch dazu) hinsichtlich des Umfangs der sorgerechtlichen Kompetenzen beider Elternteile auf §§ 1687 und 1628 BGB verweist (Rn 20, 21).

§ 1687 BGB passt aber schon deshalb nicht, weil es beim Wechselmodell keinen Elternteil gibt, "bei dem sich das Kind … gewöhnlich aufhält" (Abs. 1 S. 2), im Gegensatz zum anderen Elternteil, der gemäß Abs. 1 S. 4 nur eng begrenzte, tatsächliche Fragen entscheiden darf, wenn und solange das Kind bei ihm weilt. Beim paritätischen Wechselmodell wirken beide Eltern hingegen gleichgewichtig und gleich verantwortlich gegenüber. Die Schaffung einer diesem Sorgerechtsmodell gerecht werdenden Ordnung der beiderseitigen Befugnisse und Pflichten wäre eine zentral wichtige Regelungsaufgabe für den Gesetzgeber; der gerichtliche Verweis auf § 1687 BGB durch den BGH kann den diesbezüglichen sachlichen Regelungsbedarf schon vom Ansatz her nicht befriedigen.

Des Weiteren stellt das Konzept des BGH, der von den "sich aus der umgangsrechtlichen Anordnung des Wechselmodells ergebenden sorgerechtlichen Folgen" spricht (Rn 21), die Rechtsbeziehungen der Eltern praktisch auf den Kopf – die Reichweite des Sorgerechts folgt hier dem Umfang des Umgangsrechts. "Umgang" hat man aber, unabhängig von den rechtlichen Beziehungen, begrifflich mit Personen, mit denen man nicht zusammenlebt,[4] während der grundsätzliche Aufenthalt des Kindes bei [dem] einen oder anderen Elternteil Gegenstand elterlicher Sorge ist (so ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht unstreitig wesentlicher Bestandteil der Sorgeberecht...

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