Einführung

In familiengerichtlichen Verfahren sind die beteiligten Personen in der Regel vom Ablauf und Ausgang des Verfahrens wesentlich stärker emotional betroffen als in den meisten anderen Gerichtsverfahren. Dies könnte die Vermutung nahelegen, dass die Beteiligten in diesen Verfahren die Unparteilichkeit von Richtern und Sachverständigen besonders kritisch prüfen und vermehrt Befangenheitsanträge stellen. Indes wird dies nicht durch die veröffentlichte Rechtsprechung bestätigt. Vielmehr entsprechen dabei die Entscheidungen über Befangenheitsanträge in Familiensachen gegenüber solchen Entscheidungen in Verfahren in sämtlichen Rechtsgebieten in etwa dem Anteil sämtlicher Entscheidungen in Familiensachen an den veröffentlichten Entscheidungen in sämtlichen Rechtsgebieten.[1] Selbst die besonders sensiblen Kindschaftssachen weisen insoweit keine Besonderheiten auf. Dagegen sind die Ablehnungsgründe in Familiensachen teilweise spezifischer Art, weshalb in der folgenden Darstellung, die sich vor allem an die familienrechtliche Praxis richtet, neben Entscheidungen aus allen Gerichtsbarkeiten, die von allgemeiner Bedeutung sind, vorrangig familiengerichtliche Entscheidungen berücksichtigt werden.

[1] Dies ergibt eine Auswertung der bei juris veröffentlichten Rechtsprechung.

I. Ablehnung von Richtern

Das Gebot, niemanden dem gesetzlichen Richter zu entziehen (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), wird durch § 42 Abs. 1 ZPO eingeschränkt, wenn der Richter kraft Gesetzes von seinem Amt ausgeschlossen ist (§ 41 ZPO) oder erfolgreich wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist, da ein Grund vorliegt, der Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigt (§ 42 Abs. 2 ZPO). In familiengerichtlichen Verfahren gilt diese Regelung in Familienstreitsachen über § 113 Abs. 1 FamFG und in den übrigen Verfahren über § 6 FamFG entsprechend. Die Gründe für die Ablehnung wegen Befangenheit sind in familiengerichtlichen Verfahren genauso vielfältig wie in anderen gerichtlichen Verfahren, so dass die in der Rechtsprechung allgemein zu § 42 ZPO entwickelten Grundsätze auch hier uneingeschränkt Anwendung finden.

1. Gründe in der Person des Richters

Ein Richter kann durch seine persönliche Beziehung zu dem zu entscheidenden Sachverhalt bzw. den an dem Verfahren beteiligten Personen befangen sein. Es handelt sich um Fälle, in denen die persönliche Nähe zu dem Sachverhalt bzw. den Beteiligten geringer ist als in den in § 41 ZPO im Einzelnen bezeichneten Konstellationen, in denen diese Nähe dazu führt, dass der Richter zwingend von seinem Amt ausgeschlossen ist. § 42 ZPO erwähnt die unterhalb dieser Schwelle befindlichen Sachverhalte der persönlichen Nähe des Richters zum Verfahrensgegenstand oder den Beteiligten nicht einmal besonders, sondern überlässt es – wie auch bei den sonstigen in Betracht kommenden Befangenheitsgründen – der Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, ob diese ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters rechtfertigen.

a) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Richter grundsätzlich in der Lage ist, seinen privaten von seinem dienstlichen Bereich zu trennen. Die entscheidende Frage ist, welche Umstände vorliegen müssen, um die Annahme zu rechtfertigen, dass dieser Grundsatz im konkreten Einzelfall nicht gilt oder seine Anwendung zumindest zweifelhaft ist. Muss ein Verfahrensbeteiligter tatsächlich darauf vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme auf den Richter trotz dessen persönlicher Nähe zu einem anderen Beteiligten unterbleiben wird, und sich darauf beschränken, den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies trotzdem geschieht und bekannt wird?[2] Die teilweise recht großzügige Handhabung des Vertrauensgrundsatzes hinsichtlich der Fähigkeit von Richtern, private und dienstliche Belange strikt voneinander zu trennen, führt zu einer unzulässigen Beschränkung der gesetzlichen Regelung der Ablehnung wegen Befangenheit. Nach dieser hängt der Erfolg der Ablehnung nicht davon ab, ob eine Befangenheit objektiv vorliegt, sondern ob aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei verständiger Würdigung der objektiven Umstände[3] die Besorgnis der Befangenheit besteht. Es genügt der "böse Schein", d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität.[4] Die Beurteilung dieses trotz der objektivierten Sichtweise –"bei verständiger Würdigung" – immer noch subjektiven Elementes der Ablehnungsvoraussetzungen und die damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall stellen das Kernproblem des Ablehnungsrechts dar. Dabei geht die Forderung, bei der Bejahung eines Ablehnungsgrundes großzügig zu verfahren,[5] zwar in die richtige Richtung, gibt jedoch für die Beurteilung des konkreten Falles einen zu unbestimmten und damit wenig tauglichen Maßstab. Wahrscheinlich ist im Ergebnis das Gleiche gewollt, wie es die Auffassung erreicht, nach der im Zweifel die Befangenheit zu bejahen ist.[6] Ein solches Abgrenzungskriterium entspricht dem gesetzlichen Ziel, bereits die Möglichkeit einer Befangenheit bzw. den "bösen Schein" für die Besorgnis der Befangenheit genügen...

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