Ist die Entscheidung des BGH der erste Schritt auf dem Weg zum Wechselmodell als Regelfall? Liest man die Überschriften diverser Presseerzeugnisse, könnte man diesen Eindruck gewinnen: "Getrennte Eltern haben gleichen Anspruch auf Zeit mit dem Kind",[1] "BGH stärkt vor allem die Rechte von Vätern",[2] "BGH stärkt Rechte von Eltern",[3] so und ähnlich lauteten die Titel der verschiedenen Beiträge. Auf den ersten Blick mag dies so erscheinen; liest man die Begründung der Entscheidung genauer, bleibt von der Stärkung der Elternrechte m.E. nicht viel übrig.

Wechselmodell als gerichtliche Umgangsregelung grundsätzlich möglich

Der BGH stellt sich zunächst im Streit der verschiedenen Oberlandesgerichte und Literaturstimmen auf die Seite derjenigen, die grundsätzlich die Anordnung eines paritätischen Betreuungsmodells auf dem Wege einer Umgangsregelung für möglich erachten. Das Gesetz enthalte keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürften; ob auch eine auf das gleiche Ergebnis gerichtete Sorgerechtsregelung möglich sei, könne offenbleiben. Dass der Wortlaut des § 1684 BGB eine Beschränkung des Umgangsrechts weder nach oben noch nach unten enthalte, mag man dem BGH zugestehen. Auch dass das Wechselmodell keineswegs als von vornherein kindeswohlschädlich angesehen werden kann, ist ohne weiteres zu konzedieren.

Wechselmodell gegen den erklärten Widerstand eines Elternteils

Die Schwierigkeiten der gerichtlichen Anordnung eines Wechselmodells gegen den Widerstand eines Elternteils zeigt der BGH selbst bereits unter Randnummer 19 f. auf: Viele Vorschriften (Auszahlung öffentlich-rechtlicher Leistungen, Melderecht, Geltendmachung von Unterhalt) verlangen eine klare rechtliche Zuordnung des Kindes zu einem Lebensmittelpunkt; ohne entsprechende Einigung der Eltern sind weitere Gerichtsverfahren vorprogrammiert. Dem mag man entgegenhalten, es bestehe dann eben gesetzgeberischer Änderungsbedarf auf den genannten und ähnlichen Feldern. Solange indes entsprechende Änderungen nicht erfolgt sind, stellt sich doch die Sinnhaftigkeit einer gerichtlichen Umgangsregelung mit fast zwangsläufiger Folge weiterer gerichtlicher Auseinandersetzung zwischen den Eltern. Insbesondere können diese Folgeregelungen, auch wenn sie im Verfahren offen zu Tage treten, nicht innerhalb des von Amts wegen zu regelnden Umgangsrechts mitgeregelt werden. Wenn die Eltern zudem nicht gemeinsam sorgeberechtigt sind, reicht die Entscheidungskompetenz des Elternteils, bei dem sich das Kind aufgrund der gerichtlichen Umgangsregelung befindet, für die Bewältigung von Alltagssituationen oftmals nicht aus,[4] weil der Verweis in § 1687a BGB auf § 1687 Abs. 1 S. 4 und 5 BGB diese Kompetenz auf die Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung bewusst reduziert.

Der BGH betont unter Randnummer 26 ausdrücklich, es sei keine Voraussetzung für die Anordnung eines Wechselmodells, dass unter den Eltern Konsens über die Betreuung des Kindes in diesem Modell bestehe. M. E. wird man diesen Satz künftig – aus dem Gesamtzusammenhang gerissen – mehrfach in Schriftsätzen lesen, mit denen eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells gefordert wird. Isoliert betrachtet könnte man aus diesem Satz tatsächlich entnehmen, Widerstand eines Elternteils sei unbeachtlich. Tatsächlich jedoch bringt der BGH klar zum Ausdruck, dass er allein einem "Vetorecht" eines Elternteils eine Absage erteilen will, weil dann "der Elternwille ohne Rücksicht auf die zugrundeliegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger Weise über das Kindeswohl gestellt" würde.

Kindeswohl ausschlaggebend

Begrüßenswert sind die eingehenden Ausführungen des BGH, dass – unabhängig von jeglicher dogmatischer Einordnung – ein Wechselmodell gerichtlich nur angeordnet werden kann, wenn "die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten[5] entspricht". Der BGH arbeitet verschiedene Gesichtspunkte heraus, die bei der insoweit vorzunehmenden Beurteilung besondere Bedeutung haben:

Dass § 1626 Abs. 3 S. 1 BGB die Bedeutung des Umgangs hervorhebt, beinhaltet keinen Vorrang des Wechselmodells vor anderen Betreuungsmodellen.
Das Wechselmodell stellt höhere Anforderungen an die Eltern und an das betroffene Kind, das sich auf zwei wechselnde Lebensumgebungen einstellen muss.
Ein Wechselmodell kommt nur bei einer auf sicherer Bindung beruhenden tragfähigen Beziehung zu beiden Elternteilen (besondere Problematik bei Säuglingen und Kleinkindern) in Betracht.
Unerlässlich sind geeignete Rahmenbedingungen wie örtliche Nähe der elterlichen Haushalte, Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen.

Selbst wenn nach all den vorgenannten Kriterien ein Wechselmodell denkbar wäre, ist nach den Ausführungen des BGH[6] eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern unabdingbare Voraussetzung für dessen Anordnung. Dankens...

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