Das AG Eschwege[32] hat bei einem gerade zweijährigen Kind einen Besuch des Vaters bei seinem Kind von drei Stunden im 14-tägigem Abstand innerhalb der Wohnung der Mutter für ausreichend erachtet, wobei das Gericht allerdings in Aussicht gestellt hat, bei fortschreitendem Alter und Entwicklungsstand des Kindes den Umgang zeitlich auszudehnen.

Auch das AG Saarbrücken[33] sieht bei einem Kleinkind von zwei Jahren das Umgangsrecht von wenigen Stunden vor oder nach dem Mittagsschlaf für ausreichend an. Abzustellen ist daher zuallererst auf die Kindersituation.[34]

Demzufolge hat das OLG Brandenburg[35] bei guten Bedingungen dem Vater eines zweijährigen Kindes ein Umgangsrecht jedes zweite Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend sowie am darauffolgenden Mittwoch und an Zweitfeiertagen tagsüber und zwei Wochen in den Sommerferien samt einer Woche in den Winterferien eingeräumt. Es soll auch nicht dem Kindeswohl widersprechen, wenn bei einem knapp dreijährigen Kind ein wöchentlicher Umgang an einem Werktag nachmittags von 14:00 bis 17:30 Uhr und zusätzlich alle 14 Tage ein ganztägiger Umgang am Samstag von 9:00 bis 18:00 Uhr angeordnet wird.[36]

Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit neueren psychologischen Erkenntnissen der Kompetenzerweiterungen (Dettenborn[37]), die beispielsweise zum Verständnis des Begriffes "Überzeugung" führen, zur Fähigkeit, zwischen Realität und Überzeugung zu unterscheiden, zum Verstehen falscher Überzeugung und dem Erinnern an eigene falsche Überzeugung, an Unterscheidung von absichtlichen und zufälligen Handlungen oder zur Reflexion über Zukunft und Vorstellungen oder über Zeitspannen führen. Nun gelingt dem Kind auch das Täuschen anderer etc. (Dettenborn[38]).

Andererseits ist bei diesem Personenkreis ebenso zu beachten, dass angesichts bindungstheoretischer Erkenntnisse ein häufiger Wechsel der Bezugspersonen sowie längere Trennungen von der Hauptbezugsperson als Stress für das Kind und als Gefährdung für die Entwicklung von sicheren Bindungen erlebt werden können. Die Bindung wirkt jedoch als Schutzfaktor für die positive kindliche Entwicklung.[39] "Stabile" Bindungen entfalten sich erst ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres.[40] Deshalb sollte – allerdings unter sorgfältiger Beobachtung und Abwägung beider Gesichtspunkte, einerseits Belastungserleben durch häufige, kumulative Trennungen und andererseits Stärkung der Beziehungs- und Bindungsqualitäten – der Grundsatz: je jünger das Kind ist, desto mehr Kontakt zu engen Bezugspersonen[41] in Bezug auf mögliche destabilisierende, trennungsbedingte Erlebnisse und die Belastungsfähigkeit und Resilienz abgewogen werden

Diesen Spagat zwischen Anordnung des Umgangsrechts einerseits und den bindungstheoretischen Erkenntnissen andererseits löst das OLG Brandenburg[42] wie folgt:

Zitat

"Das Umgangsrecht besteht grundsätzlich auch dann, wenn es sich bei dem betreffenden Kind um ein Kleinkind handelt, da nur so einer dauerhaften Entfremdung des Kindes zu einem Elternteil vorgebeugt werden kann. … Aufgrund des geringen Alters des Kindes ist ein Umgangsrecht von wenigen Stunden vor oder nach dem Mittagsschlaf empfehlenswert, wobei dies sogar ausgeweitet werden kann. Bei kleineren Kindern bis zu einem Alter von vier Jahren sind Umgangszeiträume mit bis zu vier Stunden ausreichend bemessen."

Aus entwicklungs- und familienpsychologischer Sicht bleibt festzuhalten, dass altersentsprechend entwickelte Kinder bereits im Alter von drei bis vier Jahren alle Kompetenzen erworben haben, um eine feste Vorstellungswelt zu entwickeln und dementsprechend auch einen zielorientierten, intensiven, autonomen (also am besten einen erlebnisgestützten) und stabilen Willen entwickeln und äußern zu können, sodass Kinder ab drei Jahren im familiengerichtlichen Verfahren nicht nur angehört werden sollten, sondern auch deren Willen festgestellt werden kann.[43]

Bereits mit zwei Jahren entwickelt sich beim Kind die Sprache als Symbolsystem, wodurch sich auch die Gedächtnisleistung und der Differenzierungsgrad des Gedächtnisses des Kindes ausweiten. Nun kann das Kind beispielsweise zwischen Vorstellung (Wunsch) und Realität unterscheiden bei gleichzeitiger Fähigkeit, eine Vorstellung von sich selbst als eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln.[44]

[33] AG Saarbrücken FamRZ 2003, 1200, 1202.
[34] Dickmeis, ZBlJugR 1982, 271, 282.
[37] Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 4. Aufl. 2014, 73 ff.
[38] Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 4. Aufl. 2014, 73 f.
[39] Bovenschen/Spangler, NZFam 2014, 900, 901.
[40] Bovenschen/Spangler, NZFam 2014, 900, 901.
[41] Horndasch, NZFam 2014, 884, 885; Fricke, ZfJ 2005, 389.
[42] OLG Brandenburg FamRZ 2002, 414; ebenso AG Saarbrücken FamRZ 2003, 1200, 1201.
[43] Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 4. Aufl. 2014, S. 78.
[44] Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, 7. Aufl. 2012, S. 179.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge