An keiner Stelle sind alle Beteiligten so untrennbar in die Wechselwirkungen zweier Rechtsgebiete verstrickt, wie an der Nahtstelle von Existenzsicherungs- und Familienrecht. Wer einen Beleg sucht, findet ihn bereits in den Motiven des BGB. Diese beziehen sich zur Begründung der Unterhaltspflichten u.a. auf die Lasten für die öffentlichen Armenkassen.[1] Umgekehrt hat der Gesetzgeber auf die Auffangfunktion des Sozialrechts verwiesen, um Deckungslücken in der Pflegeversicherung zu schließen und nicht etwa auf das private Unterhaltsrecht.[2] Dann ist es auch konsequent, wenn angesichts steigender Aufwendungen bei den Hilfen zur Pflege[3] seitens der Politik eine Reform der Pflegeversicherung angemahnt wird und nicht eine Ausweitung des Elternunterhalts.

Gemeinsames Merkmal beider Rechtsgebiete ist es, dass sie die Umverteilung von Einkommen regulieren. Sie unterscheiden sich durch den jeweils angesprochenen Personenkreis und die gesetzlichen Voraussetzungen. Es sind allerdings oft dieselben Personen, die sich in ihrer konkreten Lebenssituation mit den Vorschriften und der Rechtsprechung beider Rechtsgebiete konfrontiert sehen. Die zur Entscheidung anstehenden Lebensverhältnisse bilden ein komplexes System. Wir haben es mit einer Fülle von Variablen zu tun, die sich wechselseitig beeinflussen. Die Rechtsanwendung ist der ganzen Rechtsordnung verpflichtet[4] und kommt daher nicht ohne ein Verständnis für die Wechselwirkungen der Vorschriften und die Sichtweise der jeweils anderen Fakultät aus. Dies fällt im Spannungsverhältnis zwischen Steuer-, Sozial- und Familienrecht keineswegs leicht. Es gibt zahlreiche Zielkonflikte, nicht immer nachvollziehbare Wertentscheidungen des Gesetzgebers sowie unbedachte Fernwirkungen. So bedarf es erheblicher Energie, um sich mit wenig vertrauten Fragestellungen auseinanderzusetzen. Auf erkannte Konflikte reagiert die Rechtsprechung aller Sparten bevorzugt mit einer Betonung der jeweiligen Eigenheiten und des Trennenden.[5] Dabei haben es die Gerichte in der Hand, Gegensätze im Wege der Gesetzesauslegung zu entschärfen. Beispielsweise zu nennen sind das mit dem Steuer- und Unterhaltsrecht unvereinbare Kopfteilprinzip bei den Wohnkosten[6] sowie die Übernahme sozialrechtlich vorgegebener Bedarfs- und Abzugspositionen in das Unterhaltsrecht.[7] Letztlich erhöht dies die Akzeptanz von Entscheidungen. Als positives Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des BGH anzuführen, wonach die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nur nach dem selbst erwirtschafteten Einkommen zu beurteilen ist und sich nicht deshalb erhöhen könne, weil ein titulierter Unterhalt von einem fiktiven Nebeneinkommen abzusetzen sei (§ 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II) und damit weiterhin ALG II in derselben Höhe bezogen werde.[8] Das vor allem aus dem Steuerrecht bekannte Prinzip der Folgerichtigkeit und Sachgerechtigkeit ist ein Element des allgemeinen Gleichheitssatzes[9] und sollte auch das Verhältnis der verschiedenen Rechtsgebiete zueinander prägen. Wer ein fiktives Einkommen ansetzt, muss sich bewusst sein, dass dahinter ein virtueller Lebenssachverhalt steht, der zugleich dem Steuer- und Sozialrecht unterworfen ist. Folgt der Unterhaltsschuldner dem Postulat der Rechtsprechung, sich überregional oder sogar europaweit um Arbeit zu bemühen, hätte er den Aufwand für Umzug, höhere Wohnkosten und ggf. auch den Umgang zu tragen[10] – alles dem notwendigen Bedarf zuzurechnende Aufwendungen, die ein vermeintliches Mehreinkommen schnell wieder aufzehren können.

Die Notwendigkeit einer Harmonisierung der Rechtsgebiete[11] ist keine neue Erkenntnis und wird immer wieder postuliert. Nur folgen daraus noch längst nicht Kraft und Wille zum politischen Handeln. So ist seit Langem die zur Bestimmung des Mindestbedarfs notwendige und verfassungsrechtlich gebotene Anhebung des Kinderfreibetrages überfällig – mit der Folge, dass der durch § 1612a BGB vorgegebene unterhaltsrechtliche Mindestbedarf seit mehr als einem Jahr hinter der Entwicklung der sozialrechtlichen Regelsätze zurückbleibt.[12]

Grundlegende Unterschiede gibt es allerdings bei der durch die beiden Rechtsgebiete geregelten sozialen Wirklichkeit. Bei der Familienförderung sowie im Bereich der Existenzsicherung sind die Sozialleistungen unabhängig vom familiären Status auf die aktuellen Verhältnisse der in häuslicher Gemeinschaft lebenden Personen fokussiert. Das Sozialversicherungsrecht ist in seinem Kernbereich hingegen weiterhin durch die traditionellen Familienbeziehungen – Ehe und Verwandtschaft – bestimmt.[13] Ebenso sind alle Unterhaltsansprüche statusbezogen und durch das Bestreben geprägt, die finanziellen Leistungsbeziehungen innerhalb eines Familienverbandes möglichst unverändert auf getrennt lebende Familienmitglieder zu übertragen. Hieraus entsteht schnell eine Fülle konkurrierender Einzelansprüche, die dann gleich- oder nachrangig zu befriedigen sind.

Bei aller notwendigen Vereinfachung zur Bewältigung der komplexen Fragestellungen sollten wir ...

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