Reformbedarf im nichtehelichen Eltern-Kind-Verhältnis

Am 25.11.2011 fand der 10. Göttinger Workshop zum Familienrecht statt. Die Göttinger Familienrechtler Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, Prof. Dr. Volker Lipp, Prof. Dr. Eva Schumann und Prof. Dr. Barbara Veit hatten rund 40 Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis eingeladen, um den derzeitigen Reformbedarf im nichtehelichen Eltern-Kind-Verhältnis auf der Grundlage der Entscheidungen des EGMR und des BVerfG zum Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern zu erörtern.[1] Derzeit gilt in Deutschland eine vom BVerfG vorgegebene Übergangslösung, während weitere Lösungsmodelle diskutiert werden. Die fünf Referenten beleuchteten den Reformbedarf aus unterschiedlichen Perspektiven und lieferten – auch mit provokanten Thesen – die Grundlage für spannende Diskussionen.

Prof. Dr. Nina Dethloff (Bonn) eröffnete den Workshop mit einer rechtsvergleichenden Darstellung des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern und ordnete die Konzeptionen der vorgestellten Länder drei Grundmodellen zu: Das erste Modell sehe die gemeinsame Sorge der Eltern kraft Gesetzes vor. Dieses Modell gelte in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und den meisten westlichen Ländern. Die originäre Zuordnung gewährleiste die Beteiligung des Vaters und entspreche daher dem "common ground". In Deutschland sei – so die Referentin – dieses Modell derzeit politisch aber nicht mehrheitsfähig und werde sich daher in naher Zukunft auch nicht durchsetzen können. Das zweite Modell sei weniger verbreitet und mache die gemeinsame Sorge der Eltern kraft Gesetzes von ihrem Zusammenleben abhängig. Dieses Modell biete den Vorteil, den großen Anteil der nichtehelichen Familien zu erfassen, bedürfe aber ergänzender Regelungen. Im dritten vorgestellten Grundmodell stehe der Mutter ex lege die Alleinsorge zu und die gemeinsame Sorge komme durch Konsens der Eltern oder durch gerichtliche Entscheidung auf Antrag zustande. Als Fazit hielt Dethloff fest, dass die Tendenz hin zu einer statusunabhängigen Regelung der elterlichen Sorge und zur gemeinsamen Sorge auch gegen den Willen der Mutter gehe. Ihrer Meinung nach müsse zudem die "Sorgepflicht" und Elternverantwortung des Vaters in Zukunft stärker betont werden. Abschließend wies sie darauf hin, dass inzwischen auch Österreich und die Schweiz[2] konkrete Reformvorschläge vorgelegt hätten, so dass Deutschland innerhalb der EU-Mitgliedstaaten eine Schlusslichtposition einnehme und sich auch dadurch der Reformdruck erhöhe.

Prof. Dr. Martin Löhnig (Regensburg) stellte die derzeit in Deutschland diskutierten Lösungsmodelle für das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern vor. Seiner Meinung nach rankt sich die Diskussion um die verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Sorgerechtsmodelle vor allem um die technische Frage, welcher Elternteil wann und wie aktiv werden muss. Dies gelte sowohl für das Antragsmodell, das der derzeitigen Übergangslösung des BVerfG entspricht und ein Aktivwerden des Vaters voraussetzt, als auch für das Widerspruchsmodell, bei dem die gemeinsame Sorge mit Abgabe der Sorgeerklärung des Vaters eintritt, jedoch eine gerichtliche Kindeswohlprüfung durch Widerspruch der Mutter herbeigeführt werden kann. Beim sog. Kompromissmodell muss der Vater sogar zweimal aktiv werden, weil er zunächst eine Sorgeerklärung abgeben muss, die nur dann zur gemeinsamen Sorge führt, wenn die Mutter keinen Widerspruch innerhalb einer bestimmten Frist einlegt; im Falle des Widerspruchs der Mutter muss der Vater hingegen erneut aktiv werden und einen Antrag beim Familiengericht stellen, um die gemeinsame Sorge zu erhalten. Nach Löhnig geht diese Fokussierung auf die Eltern an der entscheidenden Frage, der Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen Sorge, vorbei. Bei verheirateten Eltern sei dieser Maßstab durch §§ 1666, 1671 BGB vorgegeben. Derselbe Maßstab müsse auch für nichtverheiratete Eltern gelten, denn anderenfalls käme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Nach dem Grundgesetz habe jedes Kind einen "Anspruch" darauf, dass beide Elternteile Verantwortung tragen. § 1626a BGB sei dahingehend zu ändern, dass grundsätzlich immer ein gemeinsames Sorgerecht der nicht miteinander verheirateten Eltern bestehe, wenn nicht (ausnahmsweise) die Alleinsorge eines Elternteils für das Kindeswohl am dienlichsten ist. Als Fazit hielt Löhnig fest, dass das verfassungsrechtliche Leitbild von der Elternverantwortung beider Eltern ausginge, und daher statt der derzeit diskutierten Lösungsmodelle nur eine gemeinsame Sorge kraft Gesetzes infrage käme.

Prof. Dr. Sabine Walper (München) referierte zur Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern aus interdisziplinärer Perspektive und stellte die Ergebnisse der vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Studie "Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern" aus dem Jahr 2010 vor.[3] Mithilfe der Studie sollten u.a. Erkenntnisse über die...

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