BGB § 242 § 1600d Abs. 4 § 1607 Abs. 3 § 1615l Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3, 2 Abs. 1

Leitsatz

1. Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB, wonach die Rechtswirkungen der Vaterschaft grundsätzlich erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können, kann im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes in besonders gelagerten Einzelfällen auf die Weise durchbrochen werden, dass die Vaterschaft inzident festgestellt wird (im Anschluss an die Senatsurt. BGH, 16.4.2008 – XII ZR 144/06, BGHZ 176, 327 = FamRZ 2008, 1424 und BGH, 22.10.2008 – XII ZR 46/07, FamRZ 2009, 32) (Rn 15).

2. Aus Treu und Glauben ergibt sich grundsätzlich ein Auskunftsanspruch, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der eine Teil in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der andere Teil in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen (im Anschluss an die Senatsurt. BGH, 2.6.2010 – XII ZR 124/08, BGHZ 186, 13 = FamRZ 2011, 21 und BGH, 7.5.2003 – XII ZR 229/00, FamRZ 2003, 1836). Solches ist auch dann der Fall, wenn der Mann seine Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter anerkannt hatte (Rn 20)(Rn 21).

3. Die Verpflichtung zur Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters ihres Kindes berührt zwar das Persönlichkeitsrecht der Mutter nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. In Fällen, in denen die Mutter den Mann zur Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses veranlasst hatte, wiegt ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aber regelmäßig nicht stärker als der Anspruch des Mannes auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung (Rn 24)(Rn 25).

BGH, Urt. v. 9.11.2011 – XII ZR 136/09 (OLG Schleswig, AG Rendsburg)

Anmerkung

Anm. d. Red.: Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2012, 200.

2 Anmerkung

Der BGH baut in vorliegender beifallswürdiger Entscheidung zum Unterhaltsregress des Scheinvaters auf seiner Rechtsprechung zur Durchbrechung der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB auf und ergänzt das Instrumentarium des Scheinvaters – hier liegt die Neuerung – um einen vorbereitenden Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Kindesmutter über die Person des (mutmaßlichen) biologischen Vaters. Vorliegend war dem Scheinvater zwar bekannt, dass ein Mann Unterhaltszahlungen für das Kind leistete, die Kindesmutter hatte jedoch Auskünfte über die Identität dieses Mannes (und mutmaßlichen biologischen Vaters) abgelehnt und war auch auf das zur Wahrung ihrer Intimsphäre unterbreitete Angebot einer anonymen Befriedigung der Regressansprüche des Scheinvaters nicht eingegangen.

Durchbrechung der Rechtsausübungssperre

Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB bestimmt, dass Rechtswirkungen der Vaterschaft erst nach Feststellung der Vaterschaft im Statusverfahren geltend gemacht werden können. Ausnahmsweise kann diese Sperre jedoch durchbrochen werden. Zwei derartige Ausnahmen sind gesetzlich angeordnet: (a) Bereits sobald ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren anhängig ist, sind Maßnahmen zum Zweck der vorläufigen Unterhaltssicherung im Wege der einstweiligen Anordnung möglich, § 248 Abs. 1 FamFG. (b) Außerdem kann das Abstammungsfeststellungsverfahren mit einer Unterhaltssache verbunden werden, § 179 Abs. 1 FamFG; allerdings darf der Unterhaltsausspruch nicht vor Rechtskraft des Beschlusses, der die Vaterschaft feststellt, wirksam werden, § 237 Abs. 4 FamFG.

Darüber hinaus hat die Rechtsprechung zwei Fallgruppen zulässiger Inzidentfeststellung der Vaterschaft im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen biologischen Vater des Kindes entwickelt: (c) Für arglistiges oder deliktisches Verhalten eines Beteiligten oder kollusives Zusammenwirken der Beteiligten zum Nachteil des Scheinvaters[1] und (d) ohne dass diese hohen Voraussetzungen erfüllt sein müssten auch bereits dann, wenn ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren auf längere Zeit nicht stattfinden wird, weil die zur Erhebung einer solchen Klage Befugten dies ausdrücklich ablehnen oder von einer solchen Möglichkeit seit längerer Zeit keinen Gebrauch gemacht haben.[2] Vorliegend konnte sich der BGH auf Fallgruppe d stützen, die damit gleichzeitig spätestens jetzt zur ständigen Rechtsprechung des Gerichts geworden ist.

Anspruch auf Auskunft über die Identität des biologischen Vaters

Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestand darin, dass der klagende Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung nicht wusste, welchen Mann er als (mutmaßlichen) biologischen Vater und damit als Regressschuldner, § 1607 Abs. 3 BGB, in Anspruch nehmen sollte, wohl aber wusste er, dass ein Mann, dessen Identität die Kindesmutter nicht preisgab, regelmäßig Kindesunterhalt zahlte. Deshalb begehrte er von der Kindesmutter Auskunft über die Identität dieses Mannes. Einen solchen Anspruch gewährte das Gericht zutreffend nich...

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