VersAusglG § 1 § 10 § 18 Abs. 1 bis 3

Leitsatz

a) Bei Anrechten in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung, die in den alten Bundesländern erworben wurden, handelt es sich um Anrechte gleicher Art i.S.d. § 18 Abs. 1 VersAusglG.

b) Maßgebliche Bezugsgröße für die gesetzliche Rentenversicherung i.S.d. § 5 Abs. 1 VersAusglG sind Entgeltpunkte (§§ 63, 64 Nr. 1 SGB VI), so dass ein "anderer Fall" nach § 18 Abs. 3 VersAusglG vorliegt und für die Beurteilung, ob die Bagatellgrenze überschritten ist, auf den Kapitalwert abzustellen ist.

c) Auf Anrechte gleicher Art i.S.v. § 18 Abs. 1 VersAusglG findet § 18 Abs. 2 VersAusglG, der den Ausgleich "einzelner" Anrechte regelt, keine Anwendung.

d) Bei Anrechten in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung und in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung (Ost) handelt es sich nicht um Anrechte gleicher Art i.S.d. § 18 Abs. 1 VersAusglG.

e) Der Halbteilungsgrundsatz kann den Ausgleich eines einzelnen Anrechts mit geringem Ausgleichswert gebieten, wenn mit dem Ausgleich kein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand für die Versorgungsträger verbunden ist. Das ist der Fall bei einem einzelnen Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn die Ehegatten weitere gleichartige Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, die nach § 10 VersAusglG ausgeglichen werden, so dass der Versorgungsträger ohnehin Umbuchungen auf den Konten vornehmen muss.

BGH, Beschl. v. 30.11.2011 – XII ZB 344/10 (OLG Stuttgart, AG Balingen)

1 Anmerkung

Ausgangslage

Wird mit der Ehescheidung der Versorgungsausgleich zwischen den Eheleuten durchgeführt, sind häufig Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung betroffen. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung werden pro Jahr in etwa der Hälfte aller Scheidungsverfahren Rentenanrechte übertragen.[1] 2009 verloren die Ausgleichspflichtigen dabei durchschnittlich 4,04 Entgeltpunkte. Dies entsprach einem Rentenwert von 109,93 EUR.

Für den Fall, dass nur geringfügige Versorgungsanrechte zu teilen sind, sieht das Gesetz seit der Strukturreform von 2009 in § 18 VersAusglG eine Bagatellklausel vor. Danach "soll" das Familiengericht den Versorgungsausgleich nicht durchführen, wenn die Differenz der Ausgleichswerte von beiderseitigen Anrechten gleicher Art (§ 18 Abs. 1 VersAusglG) oder der Ausgleichswert eines einzelnen Anrechts gering ist (§ 18 Abs. 2 VersAusglG).

Der Reformgesetzgeber konzipierte die Vorschrift für Fallkonstellationen, bei denen die Durchführung des Versorgungsausgleichs unverhältnismäßig und aus Sicht der Parteien nicht vorteilhaft ist. Bei § 18 Abs. 1 VersAusglG ist das der Fall, wenn sich ein Hin- und Herausgleich unter dem Aspekt der Teilhabe nicht lohnte, und bei § 18 Abs. 2 VersAusglG, wenn durch die Teilung eines Kleinstanrechts und Aufnahme eines neuen Anwärters für den zuständigen Versorgungsträger ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand entstünde.[2]

In den letzten zwei Jahren sind sich die einzelnen Oberlandesgerichte und die Vertreter der Literatur in der Frage, ob und wie § 18 VersAusglG auf gesetzliche Rentenanrechte anzuwenden ist, uneins gewesen.[3] Einige Autoren hofften deswegen auf eine baldige Klärung der Gemengelage durch höchstrichterliche Rechtsprechung.[4] Sie ist nun zum 30.11.2011 erfolgt. Der XII. Zivilsenat des BGHs hat in drei Verfahren über die Auslegung von § 18 VersAusglG entschieden.[5]

Der hier besprochene Beschluss des BGHs vereint alle zu § 18 VersAusglG diskutierten Probleme. Ihm liegt folgende Konstellation zugrunde: Beide Ehegatten hatten in der Ehezeit (1.7.1997–31.10.2001) Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Der Ausgleichswert der von der Ehefrau in den alten Bundesländern erworbenen Rentenanrechte betrug 1,8131 EP (= korrespondierender Kapitalwert 9.682,43 EUR). Dagegen betrug der Ausgleichswert der vom Ehemann erworbenen West- und Ostanrechte nur 0,4281 EP (= 2.286,16 EUR) und 0,0328 EP (Ost) (= 146,74 EUR). Gegen die Entscheidungen des AG Balingen (FamG) und des OLG Stuttgart, von einem Ausgleich der Anrechte des Ehemanns nach § 18 Abs. 2 VersAusglG abzusehen, wandte sich die Ehefrau mit Erfolg.

Geringfügigkeitsgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG)

Die erste zu klärende Frage betraf die Geringfügigkeitsgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG). Sie misst bei einem Rentenbetrag höchstens 1 %, in "allen anderen Fällen" als Kapitalwert höchstens 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. Während das OLG Stuttgart in der Vorinstanz für die Teilung von gesetzlichen Rentenanrechten den Rentenbetrag als maßgebend erachtete, stellen die überwiegende Auffassung und nun auch der BGH auf den kapitalwertbasierten Grenzbetrag ab.[6] Die für das gesetzliche Rentenversicherungssystem maßgebliche Bezugsgröße seien Entgeltpunkte, so dass ein anderer Fall i.S.v. § 18 Abs. 3 VersAusglG vorliege und der Kapitalbetrag heranzuziehen sei.[7] Dafür spreche auch, dass die Entscheidung für einen Grenzwert nicht unabhängig davon gesehen werden könne, unter welcher Bezugsgröße der Ve...

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