Das OLG Bremen befasst sich in seiner Entscheidung vom 12.10.2017 mit der Vorschrift § 155c FamFG, die durch das am 15.10.2016 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG sowie zur Änderung des SGG, der VwGO, der FGO und des GKG[1] in das FamFG neu eingefügt worden ist.

Anlass hierzu bestand vor allem deshalb, weil der EGMR[2] die Bundesrepublik Deutschland mehrfach angemahnt hat, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange zivil- und verwaltungsgerichtliche Verfahren zu schaffen. Seiner Ansicht nach verlangt Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) i.V.m. Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), dass die Staaten in ihrer Rechtsordnung einen wirksamen Rechtsbehelf zur Verfügung stellen, mit dem über eine auf die Konvention gestützte "vertretbare Beschwerde" entschieden und angemessene Abhilfe erlangt werden kann.

Die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren war in Deutschland ein allgemeines Problem, das den meisten für Deutschland festgestellten Konventionsverletzungen zugrunde lag. Allein in dem Zeitraum von 1959 bis 2009 hat der EGMR mehr als 40 Urteile gegen Deutschland gefällt, in denen er eine überlange Dauer von Gerichtsverfahren festgestellt hat. Mit Rücksicht hierauf musste Deutschland nunmehr ohne Verzögerung, spätestens bis Ende 2016, einen Rechtsbehelf oder mehrere gegen überlange Gerichtsverfahren schaffen.

Dieser Verpflichtung kam nunmehr die Bundesrepublik Deutschland durch das eingangs genannte Gesetz nach. Es führt in § 155c FamFG einen gegenüber dem Rechtsmittelzug der Hauptsache und der einstweiligen Anordnung selbstständigen und auf die Verfahrensdauer bezogenen Rechtsbehelf ein: Es handelt sich hierbei um die Beschwerde gegen den die Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG negativ bescheidenden Beschluss.

Zu dieser Norm des § 155c FamFG sind zwischenzeitlich mehrere Entscheidungen erlassen worden, u.a. die des KG,[3] die des OLG Bremen,[4] die des OLG Hamburg,[5] die des OLG Stuttgart[6], die von Herberger[7] mitgeteilte Entscheidung des AG Bremen vom 5.1.2017 – 71 F 5176/16 SO und der nun zu besprechende Beschluss des OLG Bremen vom 12.10.2017.[8]

Diese Entscheidungen nehmen zu der Frage Stellung, ab wann eine Verfahrensdauer nicht mehr als angemessen anzusehen ist. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht (mehr) beschleunigt durchgeführt wurde, ist nicht möglich. Vielmehr ist jeweils eine einzelfallbezogene Betrachtung anzustellen. Hierauf haben schon die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 18/6985, S. 19 – hingewiesen.

Zitat

"Maßstab für diese Frage ist [allein][9] die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt. Beschleunigung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, dass die Entscheidung in dieser Sache nicht durch bloßen Zeitablauf faktisch präjudiziert wird. Diese Gefahr besteht, weil sich während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse – einschließlich der Kontaktabbruch – verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann.“[10]"

Mit Rücksicht hierauf hat das Beschwerdegericht allein darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG entsprochen hat, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat.

Bei den bislang veröffentlichten Entscheidungen haben die Amtsgerichte in Bezug auf die Verfahrensdauer den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebots entsprochen, sodass die Beschleunigungsbeschwerden als unbegründet zurückgewiesen werden mussten. Lediglich das OLG Hamburg[11] hob den nach § 155b FamFG ergangenen Beschluss des Ausgangsgerichts auf. Es stellte seinem Beschluss v. 8.2.2017 folgenden Leitsatz voran:

Zitat

"Sowohl aus einer unterlassenen bzw. zu großzügigen Fristsetzung bei Gutachtenaufträgen als auch aus einer unterlassenen Erinnerung bei verzögerter Gutachtenerstellung kann sich ein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ergeben."

Die Hürden für eine erfolgreiche Beschleunigungsrüge bzw. -beschwerde liegen in der Regel relativ hoch,[12] zumal die Amtsgerichte bei ihrer Verfahrensführung einen Gestaltungsspielraum haben.[13] Denn Gegenstand der Beschleunigungsbeschwerde nach § 155c FamFG ist nicht die Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensführung des Amtsgerichts, sondern die Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung. Deshalb gibt es auch noch keine Beschleunigungsrüge/-beschwerde, wenn eine Verzögerung in Kindschaftssachen nur droht, aber noch nicht eingetreten ist.[14] Hält ...

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