Eva Becker

Manchmal wünscht man sich, Europa sollte im Familienrecht schneller voranschreiten:

Eine gefühlte Ewigkeit dauern die Verhandlungen in Brüssel über die Vereinheitlichung des güterrechtlichen Kollisionsrecht im Bereich des ehelichen Güterstands und der eingetragenen Partnerschaften an: 4 Jahre sind seit Vorlage der Verordnungsvorschläge im Jahr 2011 vergangen, während derer man versucht hat, einen Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten zu erzielen. Der letzte Versuch ist am 3.12.2015 im europäischen Justizministerrat gescheitert. Das Scheitern war abzusehen: Die Vorbehalte zweier Staaten, durch die Einführung der Verordnungen gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder gar Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren anerkennen zu müssen, waren nicht zu überwinden. Scheitern auf europäischer Ebene bedeutet aber nicht das Ende: "Verstärkte Zusammenarbeit" heißt die Chance, die dem Scheitern innewohnt. 2010 wurde das Instrument, das es einer Gruppe von Mitgliedstaaten ermöglicht, gemeinsame Regelungen einzuführen, ohne dass sich die anderen Staaten daran beteiligen müssen, erstmals genutzt, und zwar im Familienrecht: Mit der sog. Rom-III-Verordnung wurde das anwendbare Scheidungsrecht für 14 Mitgliedstaaten geregelt. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Deshalb muss man sich vor einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten nicht fürchten, sondern sollte zügig auf dem Weg der Vereinheitlichung des Familienrechts in Europa voranschreiten.

Manchmal wünscht sich aber auch Europa, dass Deutschland Schritt hält:

In Kindschaftssachen wird hierzulande nicht nur das kindliche, sondern auch das anwaltliche Zeitempfinden oft arg strapaziert. So sah das auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Mit seiner Entscheidung vom 15.1.2015 (Beschwerde-Nr. 62198/11, "Kuppinger 2") hat er Deutschland ob der "Geschwindigkeit" des Verfahrens in einer Umgangsangelegenheit gerügt und eine Verletzung von Art. 13 i.V.m. Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgestellt. Dies deshalb, weil die deutsche Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf zur Verfahrensbeschleunigung von Umgangssachen vorsieht. Der EGMR war nicht davon überzeugt, dass ein nachträglicher Entschädigungsanspruch (§§ 198 ff. GVG) "eine hinreichende beschleunigende Wirkung auf laufende Verfahren, bei denen es um das Recht auf Umgang mit kleinen Kindern geht, und sofern dies notwendig ist, um eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Familienlebens zu verhindern …" habe. Die Feststellung des EGMR, wonach "das Recht auf Achtung des Familienlebens andernfalls illusorisch zu werden droht", wird der deutsche Gesetzgeber nur beseitigen können, wenn der nachträglichen Entschädigung ein präventiver Rechtsbehelf zur Verfahrensbeschleunigung zur Seite gestellt wird. Das ist wohl auch geplant.

Ob Kindschaftssachen in Verfahren vor deutschen Gerichten mit dem aus europäischer und aus Sicht der Kinder und Eltern wünschenswerten Tempo geführt werden, hängt aber auch von uns Anwältinnen und Anwälten ab: Wenn das Gericht partout keinen Verfahrensbeistand bestellen will, bitten Sie doch einmal um Begründung (§ 158 FamFG); wenn das Gericht die Eltern zu nach 3 Monaten noch immer fruchtlosen Einigungsgesprächen verdonnert hat, regen Sie die Wiederaufnahme des Verfahrens an (§ 155 Abs. 4 FamFG); wenn sich der Beweisbeschluss jährt, ohne dass ein Gutachten vorliegt, interessieren Sie sich dafür, ob das Gericht tatsächlich eine Frist für dessen Erstellung gesetzt hat (§ 163 FamFG), und schließlich ist der dritte Zwischenvergleich, von dem Sie Mandanten abraten können, nicht unbedingt besser als endlich eine verfahrensabschließende Entscheidung des Gerichts.

Lassen Sie uns also nicht auf einen neuen Rechtsbehelf warten. Es gibt schon jetzt viele Möglichkeiten, wie wir Kindschaftsverfahren vor deutschen Gerichten beschleunigen können.

Autor: Eva Becker

Eva Becker, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin

FF 2/2016, S. 45

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