Eva Becker

Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV ist kein Lesekreis. Nein, sie ist der mitgliederstärkste Verbund von Familienanwälten in Deutschland.

Dennoch will ich Ihnen zum Jahresende Lektüre ans Herz zu legen:

Gerne würde ich Ihnen den Gesetzesentwurf für eine Reform des deutschen Familienrechts zur Lektüre empfehlen. Den gibt es aber nicht. Gäbe es ihn bei Erscheinen dieses Heftes doch, wäre seine Lektüre absehbar ernüchternd:

Der Ankündigung hierzu im November 2019: "Ich arbeite daran, dass wir im Frühjahr kommenden Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen werden" (Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), Schweriner Volkszeitung (18.11.2019)) und "Das Sorge- und Umgangsrecht und das Unterhaltsrecht bilden den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte noch nicht ab. Das wollen wir ändern." (Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) ebendort) folgte im Sommer 2020: "Für die ganz große Familienrechtsreform reicht die Zeit tatsächlich nicht." (Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) am 5.8.2020) und zum Unterhaltsrecht: "Hier ist eine sehr umfassende Reform nötig, die zum Beispiel auch das Steuerrecht tangiert. In der verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode ist das nicht zu schaffen." und "Es ist ein Vorschlag im Sinne des Kindeswohls. … Deshalb sollen auch lesbische Paare von Anfang an Eltern sein und die gemeinsame Sorge übernehmen dürfen." (Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Gespräch mit der Welt am 24.9.2020).

Von der Lektüre eines Gesetzesentwurfs – wenn er denn vorläge – wäre also kaum mehr zu erwarten als Inspirationen zur abstammungs- und sorgerechtlichen Installation der Mit-Mutter, die Beibehaltung des Vorbehalts der Zustimmung der Mutter zur Erlangung der elterlichen Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern und auch im Übrigen nur hie und da ein Eingriff in das sensible System des Familienrechts – ohne es nachhaltig zu reformieren. Warum das so ist, können Sie in diesem Heft im Interview mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nachlesen: "Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit."

Den Begriff "schnell" wird man neu zu definieren haben und betroffenen Mandanten nur wünschen können, dass sie das reformierte Recht vor Eintritt der Volljährigkeit ihrer Kinder noch erleben dürfen mit Blick auf die zu allen reformbedürftigen Bereichen längst vorliegenden Ergebnisse von dazu eingesetzten Arbeitskreisen. Nun wird das Tempo einer Reform nicht allein durch ein Bundesministerium bestimmt. Es ist vielmehr der Gesetzgeber, den man fragen muss, warum er uns die Lektüre der dringend angemahnten grundlegenden Reform des Familienrechts vorenthält.

In der Zwischenzeit empfehle ich zur Lektüre Hermann Hesse: Nehmen Sie einfach sein Gedicht "Stufen" zur Hand.

Das erspart den Rückblick auf ein für die meisten von uns dramatisches Jahr: Dramatisch deshalb, weil wir alle – jede und jeder auf seine Weise – in besonderer Sorge waren, sei es um Familie, Gesundheit oder Beruf. Die Sorge wird auch im kommenden Jahr kaum schwinden, sie wird wohl eher zur Gewohnheit und damit ein wenig erträglicher. Hesse weist den Weg: "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen."

Also lassen Sie uns gemeinsam aufraffen und aufbrechen ins Jahr 2021 mit der berechtigten Hoffnung, dass wir einander wohlbehalten wiedersehen und endlich über eine Reform des deutschen Familienrechts debattieren können, die ihren Namen verdient.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und einen trotz allen Unbillen verheißungsvollen Jahresbeginn, denn: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne!

Autor: Eva Becker

Eva Becker, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin

FF 12/2020, S. 469

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