1. Die Entscheidung setzt sich auseinander mit den Anforderungen an die Übertragung der gemeinsamen Sorge auf die nicht miteinander verheirateten Eltern eines Kindes nach § 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB durch gerichtliche Entscheidung, die mangels Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB (übereinstimmende Sorgeerklärungen bzw. Heirat) erforderlich ist. Nach dem hierfür in § 1626a Abs. 2 S. 1 BGB vorgesehenen Maßstab der "negativen Kindeswohlprüfung" darf die Übertragung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl nicht widersprechen. Das Gericht hat also – ggf. auf der Grundlage des bisherigen Verhaltens und der Entwicklung des Kindes – eine Prognose zu treffen, ob eine gemeinsame Sorge anstelle der bisherigen Alleinsorge der Mutter mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre. Der BGH[1] hat in seiner – auch in der vorliegenden Entscheidung herangezogenen – Grundsatzentscheidung von 2016 deutlich gemacht, dass aus der negativen Formulierung des Prüfungsmaßstabs weder unterschiedliche materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Sorgeentscheidung noch ein unterschiedliches Beweismaß hergeleitet werden kann als im Falle einer "positiven Kindeswohlprüfung" (§ 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB: "dem Kindeswohl am besten entspricht"). Dies haben die Gerichte im vorliegenden Fall in beiden Instanzen beachtet. Sie haben sich auch im Übrigen bei der Kindeswohlprüfung an den Vorgaben des BGH orientiert. Dies betrifft insbesondere die Auffassung, dass eine Belastung des Kindes nicht bereits tatsächlich bestehen muss, sondern dass die begründete Befürchtung, es werde zu einer solchen Belastung kommen, genügt.[2]

2. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls durch eine gemeinsame Sorge der Eltern anstelle der Alleinsorge der Mutter ist nach der Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte[3] dann gegeben, wenn die Eltern keine tragfähige soziale Beziehung untereinander haben und sie aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Spannungen und Konflikte nicht in der Lage sind, das gebotene Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Teilen der elterlichen Sorge aufzubringen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit bzw. -bereitschaft zwischen den Eltern schwerwiegend gestört ist. Nach den festgestellten Umständen, die im Übrigen auch zwischen den beteiligten Eltern weitgehend unstreitig sind, ist vorliegend eine solche gestörte Elternbeziehung gegeben. Die hieraus gezogene Schlussfolgerung des OLG, dass unter den gegebenen Umständen wegen des hohen Risikos des Scheiterns auch nicht der Versuch einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorger unternommen werden kann, ist nicht zu beanstanden. Diese Risikoeinschätzung für eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls wird dadurch bestätigt, dass während der schon seit der Zeit vor der Geburt des Kindes andauernden Auseinandersetzungen der Eltern von keiner Seite auch nur ansatzweise der Versuch unternommen worden ist, die Konfliktsituation zu entschärfen und zumindest teilweise zu überwinden.

3. Dieses Ergebnis entspricht der vorstehend zitierten einhelligen Rechtsprechung. Danach ist in Fällen, in denen den Eltern die für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge unbedingt notwendige Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit bzw. -bereitschaft fehlt, eine Beteiligung des Kindesvaters an der elterlichen Sorge ausgeschlossen. Die mit der Neuregelung des § 1626a BGB beabsichtigte Stärkung der Position des nichtehelichen Kindesvaters rechtfertigt keine andere Beurteilung. Vielmehr verlangen hier die Kindesinteressen ein Zurücktreten der Elterninteressen. Der Umstand, dass der betreuende Elternteil den Konflikt mit dem anderen Elternteil möglicherweise in erheblichem Umfang mit zu verantworten hat, ändert nichts an der Richtigkeit einer solchen der Entscheidung. Fehlt es an jeglicher Gemeinsamkeit der Eltern, so kann es schon rein tatsächlich keine gemeinsame Sorge für ein Kind geben. Etwas anderes kann auch keine gerichtliche Entscheidung anordnen.

Vors. RiOLG i.R. Fritz Finke, Hamm

FF 12/2020, S. 502 - 506

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