Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit Juni 2019 das Projekt "Gute Kinderschutzverfahren – Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung für eine kindgerechte Justiz durch interdisziplinäre Fortbildung unter Einbindung eines E-Learning-Angebots". Das Projekt wird durch ein Projektkonsortium umgesetzt: Prof. Dr. Jörg M. Fegert (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm), Prof. Dr. Eva Schumann (Juristische Fakultät Göttingen), Dr. Heinz Kindler (Deutsches Jugendinstitut München) und Dr. Thomas Meysen (SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies).

Im Rahmen des Projekts wird ein webbasiertes, interdisziplinäres Fortbildungsprogramm zum familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren entwickelt, das Wissen aus den Bereichen des Familienrechts und der Jugendhilfe verbindet und mit psychosozialen Inhalten ergänzt. Dazu gehört beispielsweise auch die Bereitstellung von Grundlagenwissen für eine gemeinsame Einschätzungsbasis zwischen den Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe, den beteiligten Juristinnen und Juristen, sowie den Experten aus den Gesundheitsberufen. Denn in der Praxis kann das fehlende Bewusstsein über die unterschiedlichen Herangehensweisen und Aufgaben der beteiligten Berufsgruppen zu Fehlentscheidungen führen – mitunter mit schwerwiegenden Folgen.[3]

Neben der Notwendigkeit von Fortbildungen generell ist insbesondere auch eine Qualifizierung in Bezug auf die Erstellung von fachlichen Stellungnahmen und Einschätzungen von Fachleuten mit jeweils relevanter Expertise notwendig. Der Koalitionsvertrag geht auch hierauf ein:

Zitat

[855-857] In familiengerichtlichen Verfahren muss bei Hinweisen auf (sexualisierte) Gewalt zur Einschätzung der Gefährdungslage eine Stellungnahme von Fachleuten für Gewaltschutz und – soweit relevant – der Rechtsmedizin eingeholt werden.

Darüber hinaus gilt es aber auch, Basiswissen zur Auswertung dieser Stellungnahmen durch die anderen beteiligten Professionen zu vermitteln. Die Praxis zeigt, dass neben fundierten Kenntnissen über die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Abwendung auch ein Verständnis für das interdisziplinäre Geschehen im familiengerichtlichen Verfahren geschaffen und die Kommunikation zwischen den professionellen Akteuren verbessert werden muss.

So geht es in der jugendamtlichen oder gutachtlichen Stellungnahme im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren nicht nur darum, die identifizierte Kindeswohlgefährdung zu beschreiben, sondern vor allem darzulegen, welche Folgen die Aufrechterhaltung der Situation für das Kind in der Zukunft haben wird. Des Weiteren können Fachanwältinnen und Fachanwälte für Familienrecht zwar in ihrer Praxis regelmäßig vielfältige Erfahrungen sammeln, aber auch sie sind nur begrenzt darauf vorbereitet, im Verfahren Unzulänglichkeiten in der Gefährdungseinschätzung und Missverständnisse zwischen den Akteuren aufzuspüren oder Qualifizierung anzumahnen. Nicht zuletzt ist es auch notwendig, Basiswissen zur Rollenklärung im Verfahren, etwa im Verhältnis zwischen Jugendamt, Verfahrensbeistand und familienpsychologischen Sachverständigen, bereitzustellen. Denn die derzeitigen Ausbildungen in diesem Bereich, die durchaus nicht von allen Fachkräften durchlaufen werden, bieten häufig keine ausreichenden Ausbildungskonzepte in Bezug auf die Qualitätssicherung für die familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren.

[3] Gerber/Lillig, Gemeinsam lernen aus Kinderschutzverläufen. Eine systemorientierte Methode zur Analyse von Kinderschutzfällen und Ergebnisse aus fünf Fallanalysen, 2018, S. 71 ff.

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