I. Einführung

Im Zuge der Aufarbeitung des sogenannten Staufener Missbrauchsfalls ist die fachliche Debatte über notwendige Verbesserungen in der Kooperation der am Kinderschutzverfahren beteiligten professionellen Akteure wieder stärker geführt worden. In diesem Fall ging es um den mangelnden Schutz für einen Jungen, der von seiner Mutter und deren Lebenspartner, einem einschlägig vorbestraften Sexualstraftäter mit Kontaktverbot zu Kindern, brutal vergewaltigt und an andere männliche Täter im Darknet "verkauft" wurde, wobei die Missbrauchshandlungen gefilmt wurden. Ein zentraler Aspekt der Diskussionen war die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Richterinnen und Richtern sowie von Fachkräften, die mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen befasst sind, da in diesem Fall zwei familiengerichtliche Instanzen das vom Jugendamt in Obhut genommene Kind auf Antrag der Mutter in die Missbrauchssituation zurückgeführt hatten.

Seinerzeit hatte die damalige Bundesfamilienministerin Dr. Katharina Barley Richterfortbildungen zum Themenbereich Kinderschutz gefordert. Auch die Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstages[1] und der Beitrag des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, in der Deutschen Richterzeitung[2] machen neben weiteren Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis deutlich, dass es in diesem Bereich einen dringenden Aus-, Fort- und Weiterbildungsbedarf gibt.

Der Reformbedarf wurde auch im aktuellen Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD aufgegriffen. Dieser kündigt zahlreiche Maßnahmen zur Stärkung des Schutzes von Kindern vor Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung sowie zur Qualifizierung von den mit Kinderschutzfällen befassten Fachpersonen an:

Zitat

[824-832] Wir wollen die Qualitätsentwicklung und -sicherung sowie die Forschung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, des Familienrechts und des Gutachterwesens voranbringen. Dazu wollen wir rechtlich verbindlich sicherstellen, dass auch Verfahrensbeistände über die erforderliche Qualifikation und Eignung verfügen und der begonnene Qualitätssicherungsprozess bei Gutachten, insbesondere im familiengerichtlichen Verfahren, in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden verbindlich ausgebaut wird. Von allen an familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Berufsgruppen erwarten wir kontinuierliche Fortbildung in fachlicher und methodischer Hinsicht für ihre anspruchsvolle Tätigkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit.

[846-848] Gewalt jeglicher Art (auch seelische Gewalt), sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche werden wir konsequent bekämpfen. Dazu wollen wir die Forschung verbessern und die Verfahrensabläufe weiter optimieren.

[6164/6165] Wir befürworten Fortbildungen für Richterinnen und Richter insbesondere an Familiengerichten und streben verbindliche Regelungen in Abstimmung mit den Ländern an.

Nachdem sich die Länderjustizministerinnen und -minister erneut gegen zwingende Fortbildungsangebote für Familienrichterinnen und -richter ausgesprochen haben, erscheint es nicht sinnvoll, diese kategoriale Debatte über verpflichtende oder freiwillige Fortbildung weiter zu forcieren, sondern endlich für breit zugängliche Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote zu sorgen.

[1] Götz, NJW-aktuell, Heft 10/2018, S. 14.
[2] Rörig, DRiZ 2018, S. 84 ff.

II. Ziele des Modellprojekts "Gute Kinderschutzverfahren"

Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit Juni 2019 das Projekt "Gute Kinderschutzverfahren – Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung für eine kindgerechte Justiz durch interdisziplinäre Fortbildung unter Einbindung eines E-Learning-Angebots". Das Projekt wird durch ein Projektkonsortium umgesetzt: Prof. Dr. Jörg M. Fegert (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm), Prof. Dr. Eva Schumann (Juristische Fakultät Göttingen), Dr. Heinz Kindler (Deutsches Jugendinstitut München) und Dr. Thomas Meysen (SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies).

Im Rahmen des Projekts wird ein webbasiertes, interdisziplinäres Fortbildungsprogramm zum familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren entwickelt, das Wissen aus den Bereichen des Familienrechts und der Jugendhilfe verbindet und mit psychosozialen Inhalten ergänzt. Dazu gehört beispielsweise auch die Bereitstellung von Grundlagenwissen für eine gemeinsame Einschätzungsbasis zwischen den Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe, den beteiligten Juristinnen und Juristen, sowie den Experten aus den Gesundheitsberufen. Denn in der Praxis kann das fehlende Bewusstsein über die unterschiedlichen Herangehensweisen und Aufgaben der beteiligten Berufsgruppen zu Fehlentscheidungen führen – mitunter mit schwerwiegenden Folgen.[3]

Neben der Notwendigkeit von Fortbildungen generell ist insbesondere auch eine Qualifizierung in Bezug auf die Erstellung von fachlichen Stellungnahmen und Einschätzungen von Fachleuten mit jeweils relevanter Expertise notwendig. Der Koalitionsvertrag geht auch hierauf ei...

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