Die Entscheidung des BVerfG vom 13.7.2017 stützt sich in ihrer Begründung auf eine ständige Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 2 GG. Die Feststellung, dass die räumliche Trennung eines Kindes von seinen Eltern den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht darstellt, der nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen darf, enthält ebenso wenig grundlegend neue Aspekte wie der Hinweis, dass bei Entscheidungen im Eilverfahren eine Trennung von Eltern und Kind der besonderen Prüfung bedarf, ob ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache möglich ist.

Die Besonderheit der Entscheidung sowie ihre Bedeutung für die Praxis folgt allerdings aus der näheren Prüfung, die das BVerfG zu den Fragen vorgenommen hat, ob der streitige vollständige Entzug der elterlichen Sorge verhältnismäßig war und ob bei der Feststellung einer bereits bestehenden oder sicher vorhersehbaren Kindeswohlgefährdung die Vorinstanzen ihren Verpflichtungen zur Sachverhaltsaufklärung nachgekommen sind.

Ob ein Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge verhältnismäßig ist, beurteilt sich allein durch nähere Prüfung der in der jeweiligen Entscheidungsbegründung dargestellten juristischen Bewertungen. Es ist daher nur schwer verständlich, dass angesichts einer gefestigten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gleichwohl in einer gerichtlichen Entscheidung unverändert nicht der Tatsache Rechnung getragen wird, dass ein Elternteil einer Inobhutnahme überhaupt nicht widersprochen, sondern ausdrücklich sogar eine Verbleibensanordnung angeregt hat. Für die Praxis bedeutet dies, dass in den jeweiligen schriftsätzlichen Stellungnahmen – soweit es rechtlich und tatsächlich indiziert ist – unmissverständlich und wohl auch wiederholt darauf hinzuweisen sein wird, zur Inanspruchnahme welcher konkreten Hilfeleistungen Eltern oder Elternteile ausdrücklich bereit und inwieweit sie mit dem weiteren Verbleib des Kindes in einer Pflegestelle einverstanden sind.

Die auf § 1666 BGB gestützte räumliche Trennung eines Kindes von seinen Eltern rechtfertigt sich nach den in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien nur dann, wenn das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht hat, dass das Kind im Fall des Verbleibs bei seinen Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, d.h. entweder bereits ein solcher Schaden eingetreten oder die Gefährdung mit der erforderlichen Sicherheit vorhersehbar ist. Die zur Feststellung dieser entscheidungserheblichen Tatsachen notwendigen Ermittlungen hat das Gericht gemäß § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführen, wobei diese Obliegenheit nicht nur für alle Instanzen gilt (§§ 68 Abs. 3, 74 Abs. 4 FamFG), sondern ausdrücklich auch im Eilverfahren gemäß § 51 Abs. 2 FamFG. In der praktischen Umsetzung dieser Amtsermittlung ist realistisch nicht zu erwarten, dass die Gerichte selbst "vor Ort" die notwendigen Ermittlungen durchführen. Eine am Kindeswohl orientierte effektive Amtsermittlung setzt vielmehr zwingend voraus, dass die Gerichte sich nicht nur auf die Informationen stützen können und dürfen, die ihnen von den beteiligten Eltern zur Verfügung gestellt werden, sondern vielmehr eine möglichst umfassende objektive Informationsbasis existiert, auf welcher aufbauend die für die Kindeswohlprüfung erforderlichen Ermittlungen abgeleitet werden können.

Nach § 50 Abs. 1 SGB VIII unterstützt das Jugendamt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Es berichtet über angebotene und erbrachte Leistungen und bringt erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes ein. Ebenso weist es auf weitere Möglichkeiten der Hilfe hin. Auch wenn das Jugendamt dabei nicht Hilfsorgan des Gerichts ist, sondern eine eigenständige Position innehat, darf nicht verkannt werden, dass auf der Grundlage der dem Jugendamt zugewiesenen Aufgaben letztlich die zentralen Informationen zu einer Familie, ihrem sozialen Setting, ihren Hilfsnotwendigkeiten und ebenso den ihr bislang erbrachten Hilfeleistungen beim Jugendamt zusammenlaufen. Dies sind gleichzeitig aber auch die zentralen Informationen, die das Familiengericht benötigt, um eine kindeswohlgerechte Entscheidung treffen zu können. Gibt das Jugendamt daher in einem familiengerichtlichen Verfahren eine Stellungnahme ab, so müssen die erteilten Informationen vollständig und richtig sein. Dies intendiert gleichzeitig, dass dem jeweiligen Sachbearbeiter nicht nur die rechtlichen Grundlagen, sondern auch die Rechtsfolgen bestimmter Informationen bekannt und bewusst sind.

An dieser Stelle ist ggf. kritisch zu hinterfragen, ob die Aus- und Weiterbildung der jeweiligen Mitarbeiter von Jugendämtern den Anforderungen gerecht wird, wie sie die zunehmend komplexer werdenden Sachverhalte in familiengerichtlichen Verfahren erfordern. Gerade im Zusammenhang mit der Inobhutnahme von Kindern und ihrer Unterbringung in Pflegefamilien zeigt die Praxis leider...

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