Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seit 2009 in einigen bahnbrechenden Entscheidungen das Sorgerecht für nichteheliche Kinder in Deutschland entscheidend vorangebracht. Für das Sorgerecht war maßgeblich die Entscheidung Zaunegger gegen Deutschland vom 3.12.2009.[2] Der EGMR erklärte, dass § 1626a BGB in der alten Fassung mit Art. 8 EMRK unvereinbar sei. Es sei nicht zulässig, dass Väter ohne Zustimmung der Mutter eine gemeinsame Sorge nicht erreichen können. Die Weigerung der Mutter müsse gerichtlich überprüft werden können.

Das Bundesverfassungsgericht folgte dieser Auffassung und entschied am 21.7.2010, dass § 1626a BGB a.F. und § 1572 BGB verfassungswidrig seien. Es gab dem Gesetzgeber auf, eine verfassungsgemäße Regelung zu finden.[3]

Für die Übergangszeit gab das Bundesverfassungsgericht selbst die Grundvoraussetzungen in der Entscheidung vor, unter welchen Bedingungen eine gemeinsame elterliche Sorge für nichteheliche Kinder zu begründen sei.

Zitat

"Das Familiengericht überträgt den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht."

Das Familiengericht überträgt dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.“

In den Entscheidungen haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der EGMR dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum gelassen.

Die Bundesregierung gab ein Sachverständigengutachten in Auftrag, um zu überprüfen, von welchen Gründen sich Frauen leiten lassen, wenn sie die gemeinsame Sorge mit dem Kindesvater ablehnen. Diese Studie lag Ende 2010 vor. Zusammenfassend ist festzustellen, dass ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen, wenn das gemeinsame Sorgerecht abgelehnt wird. Bei Eltern, die zusammen leben, sind seltener kindeswohlrelevante Gründe für die Ablehnung des gemeinsamen Sorgerechts zu finden. Bei Eltern, die bei Geburt des Kindes nicht zusammengelebt haben, spielen potentiell kindeswohlrelevante Gründe eine stärkere Rolle. Der Forschungsbericht kommt zum Ergebnis, dass ein gemeinsames Sorgerecht ab Geburt des Kindes angemessen sei.[4]

In der politischen Diskussion standen sich zwei Meinungen gegenüber. Auf der einen Seite, dass es bei der alleinigen elterlichen Sorge der Mutter mit der Geburt des Kindes bleiben solle und der Vater auf Antrag eine gemeinsame elterliche Sorge erlangen solle (Antragslösung). Auf der anderen Seite, dass mit Geburt des Kindes und der Vaterschaftsanerkennung automatisch die gemeinsame elterliche Sorge eintreten solle und die Mutter dann die Möglichkeit haben soll, innerhalb einer bestimmten Frist einen Antrag auf alleinige elterliche Sorge zu stellen (Widerspruchslösung). Diese beiden Grundformen wurden in der politischen Diskussion in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten. Letztendlich setzte sich die Antragslösung durch, entgegen des überwiegenden Votums der Fachverbände.[5] Das begegnet unverändert auch nach Inkrafttreten des Gesetzes erheblicher Kritik.[6]

[2] EGMR NJW 2010, 501.
[4] Zempel, Sorge- und Umgangsrecht für nichteheliche Kinder, 2013, S. 88 m.w.N.
[5] Stellungnahme des DFGT-Kinderrechtekommission vom 4.6.2012, Stellungnahme 30/2012 des Deutschen Anwaltvereins vom 7.5.2012, Stellungnahme des ISUV.
[6] Willutzki, Das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateten Eltern, FPR 2013, 236.

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