Ausgangslage

Eltern sind minderjährigen Kindern gegenüber nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB gesteigert unterhaltspflichtig. Die gesteigerte Haftung der Eltern tritt jedoch nicht ein, wenn weitere leistungsfähige unterhaltspflichtige Verwandte vorhanden sind, die in der Lage sind, unter Wahrung ihres eigenen angemessenen Unterhalts den Kindesunterhalt zu leisten. Ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB kann auch der andere Elternteil sein. In den letzten Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass alle oder einige zu betreuende minderjährige Kinder bei einem Elternteil leben, der voll berufstätig ist und weitaus mehr verdient als der andere Elternteil. Die Entscheidung des BGH vom 10.7.2013 befasst sich mit der Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe sich ein Kindesvater am Barunterhalt des antragstellenden Kindes, das bei ihm lebt und von ihm betreut wird, beteiligen muss.

Inhalt der Entscheidung

Der am 25.7.1997 geborene Antragsteller entstammt aus einer nichtehelichen Beziehung der Kindeseltern. Er lebt seit Mai 2010 bei dem Kindesvater, der verheiratet und als Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei tätig ist. Die Antragsgegnerin, seine Mutter, arbeitet vollschichtig als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, in welcher Höhe die Antragsgegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen, ob Teile der Einkünfte überobligatorisch sind und in welchem Umfang sie einzusetzen sind.

Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Der BGH hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

Einordnung der Entscheidung

Der BGH hat in der Entscheidung vom 10.7.2013 unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung[1], insbesondere auf ein Urteil aus dem Jahr 1990[2], erneut definiert, was unter einer überobligatorischen Tätigkeit und überobligatorischen Einkünften zu verstehen ist und in welchem Umfang solche Einkünfte für Unterhalt einzusetzen sind. Ferner hat er weitere Ausführungen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kreditverbindlichkeiten getätigt. Die Entscheidung enthält schließlich Richtlinien für die Verpflichtung des betreuenden Elternteils, den Barunterhalt ganz oder teilweise zu leisten.

Bedeutung der Entscheidung des BGH für die Praxis

a) Eine Tätigkeit ist überobligatorisch, wenn für sie keine Erwerbsobliegenheit besteht und deshalb derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht daran gehindert ist, sie jederzeit zu beenden. Dies gilt auch, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden ist.

Im Rahmen eines Unterhaltsprozesses hat der Unterhaltspflichtige die Darlegungs- und Beweislast für die Qualifizierung seiner Einkünfte als überobligatorisch. Ein Unterhaltspflichtiger, der sich auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit beruft, hat die Art und den Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Krankheiten anzugeben. Ferner muss er darlegen, inwieweit sich die behaupteten gesundheitlichen Störungen auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, denn nur in einem solchen Fall ist eine Beurteilung möglich, ob die Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise unzumutbar ist. Die Anforderungen an die Darlegungen dürfen durch die Gerichte dabei nicht überspannt werden. Wenn konkret unter Beifügung von aussagekräftigen ärztlichen Attesten angegeben wird, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen, muss das Gericht notfalls ein Sachverständigengutachten zur Feststellung des Umfangs der Erwerbsfähigkeit einholen. Ein Attest ist als aussagekräftig anzusehen, wenn es konkrete Diagnosen mit Angaben der aktuellen Medikation, eine Darstellung der Krankheitsanamnese, sozialbiografische Daten sowie die therapeutische Beurteilung enthält, dass eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit vorliege.

b) Steht – notfalls nach einer Beweisaufnahme – fest, inwieweit eine Tätigkeit unzumutbar ist, kann bestimmt werden, welcher Teil des Einkommens überobligatorisch erzielt worden ist. Für die Frage, ob und inwieweit ein Einkommen aus überobligatorischer Tätigkeit für Unterhaltszwecke einzusetzen ist, ist wiederum zu unterscheiden:

Eine vollständige Heranziehung von Einkommen aus einer i.S.d. § 1603 Abs. 1 BGB überobligatorischen Erwerbstätigkeit erfolgt regelmäßig, wenn für den Unterhaltspflichtigen eine gesteigerte Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht.[3] Das Einkommen ist in vollem Umfang für den Kindesunterhalt einzusetzen, wenn anderenfalls der Mindestunterhalt nach § 1612a Abs. 1 BGB gefährdet wäre. Der Mindestunterhalt entspricht der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle, also 100 %.

Sofern es nicht um die Deckung des Mindestunterhalts, sondern um die Frage geht, ob der Unt...

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