Interview mit Professor Dr. Wolfram Höfling, Universität zu Köln

Prof. Dr. Wolfram Höfling

FF/Schnitzler: Das neue Patientenverfügungsgesetz ist am 1.9.2009 in Kraft getreten. Im Bundestag war die Abstimmung freigegeben. Im Ergebnis hat sich der sog. "Stünker-Entwurf" (Mitglied des Rechtsausschusses Stünker, SPD) durchgesetzt. Das Gesetzgebungsvorhaben ist ja sehr lange in der Diskussion. Weshalb hat es so lange gedauert?

Prof. Höfling: Der Verabschiedung des Gesetzes ist eine jahrelange Diskussion vorausgegangen. Zahlreiche Institutionen und Verbände haben daran mit z.T. deutlich gegenläufigen Vorstellungen über das Institut der Patientenverfügung teilgenommen. Noch während der parlamentarischen Beratung standen sich mit dem ersten Bosbach-Entwurf und dem ersten Stünker-Entwurf sehr unterschiedliche Modelle gegenüber. Und in der Tat: Die Frage nach einem angemessenen Ausgleich zwischen Autonomiewahrung einerseits und Integritätsschutz andererseits bei Entscheidungen am Lebensende erweist sich als eine schwierige Herausforderung.

FF/Schnitzler: Mit dem Gesetz soll mehr Rechtssicherheit gewährleistet sein. Die neue Regelung verschafft dem vorab formulierten schriftlichen Willen eines Patienten weitgehend Gültigkeit, wenn er sich krankheitsbedingt nicht mehr selber äußern kann. Wo sind die wichtigsten Punkte in diesem Gesetz?

Prof. Höfling: Die wichtigsten Punkte der Neuregelung lassen sich wie folgt skizzieren:

1. Zunächst ist nunmehr klargestellt, dass nur schriftliche Vorausverfügungen als Patientenverfügungen qualifiziert werden können. Treffen diese aber eine Entscheidung über eine bestimmte ärztliche Maßnahme, so sind sie verbindlich, und zwar – wie § 1901a Abs. 3 BGB klarstellt – unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Der in der Diskussion lange vertretenen Konzeption einer sog. Reichweitenbegrenzung hat der Gesetzgeber damit eine Absage erteilt.

2. Wichtig ist auch, dass der Gesetzgeber nunmehr in § 1901a Abs. 2 eine Regelung zum sog. mutmaßlichen Willen getroffen hat. Im Kern ist dieser rückbezogen auf den individuellen Willen des Betroffenen. Das vom BGH im sog. Kemptener Urteil noch herangezogene Kriterium der allgemeinen Wertvorstellungen – ein gefährliches Einfallstor für integritätsgefährdende Fremdbestimmung – scheidet damit zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens aus.

3. Schließlich wird dem Betreuer bzw. Bevollmächtigten eine wichtige Funktion zugewiesen, nämlich zu prüfen, ob die Festlegungen in einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.

FF/Schnitzler: Der Familiensenat des BGH hatte in einer Entscheidung vom 17.3.2003 seinerzeit viel Verwirrung bei Ärzten, Pflegenden und Betroffenen herbeigeführt. Ist durch dieses Gesetz gewährleistet, dass die Gerichte mit der Patientenverfügung besser umgehen können als bisher?

Prof. Höfling: Es ist keineswegs sicher, dass die forensische Praxis mit dem neuen Gesetz "besser umgehen" kann als mit dem bisherigen, zweifelsohne unbefriedigenden Zustand. Insbesondere der eben genannte Aspekt einer Prüfungspflicht hat bereits zu Kontroversen darüber geführt, was zu geschehen hat, wenn kein Betreuer bestellt und kein Bevollmächtigter benannt ist. Setzt dann der Arzt unmittelbar die Patientenverfügung um oder ist nunmehr immer ein Betreuer zu bestellen? Kann man einem Arzt wirklich so ohne weiteres das Interpretationsrisiko darüber zuweisen, ob eine Patientenverfügung deutlich genug formuliert ist und auf die aktuelle Lebens- und Entscheidungssituation zutrifft? Abzuwarten bleibt auch, wie die Betreuungsgerichte die Figur des mutmaßlichen Willens implementieren werden.

FF/Schnitzler: Mit dem Gesetz soll ausdrücklich eine Regelung zur Entscheidung auf der Grundlage des sog. mutmaßlichen Willens möglich sein. Bietet der mutmaßliche Wille nicht wiederum die Möglichkeit, dass Dritte, insbesondere Angehörige, Einfluss nehmen auf das, was der Betreute vielleicht gar nicht wollte?

Prof. Höfling: Zweifelsohne ist eine Entscheidung auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens problematisch. Es bedarf der sehr sorgfältigen Ermittlung individuell rückbezogener Anhaltspunkte, um darauf eine Entscheidung über Leben und Tod zu gründen. Keiner der Beteiligten in einem derartigen Entscheidungsverfahren sollte sich genötigt fühlen, "irgendwie" zu einem mutmaßlichen Willen zu kommen. Lässt ein solcher sich mit hinreichender Sicherheit nicht benennen, gilt: Diesseits des Sterbeprozesses sind medizinisch indizierte Maßnahmen aufzunehmen bzw. weiterzuführen.

FF/Schnitzler: Das Gesetz ist mit dem umfassenden FamFG in Kraft getreten. Dies aus gutem Grund. Welche verfahrensrechtlichen Bereiche sind neu?

Prof. Höfling: Artikel 2 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts – so der eigentliche Titel des Patientenverfügungsgesetzes – ändert auch das neue Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. U.a. regelt § 287 FamFG in einem neuen Abs. 3, dass ein Beschluss über die Genehmigung des Be...

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