Verfassungsrechtliche Probleme würden sich von vornherein nicht stellen, wenn man den Begriff der Ehe – entgegen der Rechtsprechung des BVerfG – nicht als Verweisung auf einen vorverfassungsrechtlichen Bestand des normativierten Herkömmlichen verstehen wollte, sondern (vergleichbar Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) als Auftrag an den einfachen Gesetzgeber, um einen institutionellen Kern herum auszugestalten, was die "normgeprägte" Ehe im jeweiligen Zeitkontext bedeutet.[48] Gewiss bedarf es konkreter Regelungen des Familienrechts, die insbesondere Verfahren, Wirksamkeitsvoraussetzungen, Rechte, Pflichten und Aufhebung des Eheverhältnisses regeln,[49] schon weil solche Details die Regelungsfunktionen des Verfassungsrechts sprengen würden und im minimalistischen Art. 6 Abs. 1 GG keine Stütze finden. Die Gestaltungsbedürftigkeit der prozeduralen und akzessorischen Regelungen des Eherechts lässt aber die verfassungsimmanente Bestimmung des materialen Bezugspunkts "Ehe" in Art. 6 Abs. 1 GG unberührt. Die Abhängigkeit des Eheschutzes von gesetzlicher Ausgestaltung würde gerade die Funktion des Ehegrundrechts verfehlen, einen Bereich gelebter sozialer Wirklichkeit vornehmlich gegen den Regelungszugriff des Gesetzgebers zu schützen.[50] Der institutionelle Normgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG schützt mit Ehe und Familie in besonderem Maße Institute, die zwar erst durch Gesetzgebung zu einem Gegenstand des Rechts werden, über deren Inhalt bei Verfassungsgebung aber eben auch sehr konkrete, privatrechtlich detailliert ausgeformte Vorstellungen herrschten, auf die sich bereits mit Art. 119 WRV ein durch das Grundgesetz lediglich fortgeschriebenes[51] verfassungsrechtliches Schutzversprechen bezog.[52] Damit überzeugt dann weiterhin der Ansatz des BVerfG, den Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsunmittelbar aus einem historisch etablierten, gestaltungsresistenten Verständnis zu gewinnen (gleich ob man dieses Verständnis heute noch für gesellschaftsadäquat hält oder nicht).

[48] So Volkmann, Warum die Ehe für alle vor dem BVerfG nicht scheitern wird (II), VerfBlog, 2017/7/06, http://verfassungsblog.de/warum-die-ehe-fuer-alle-vor-dem-bverfg-nicht-scheitern-wird-ii/.
[49] Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte – Untersuchungen zur Grundrechtsbindung des Ausgestaltungsgesetzgebers, 2005, S. 358 f.
[50] Überzeugend Cornils (Fn 49), S. 356 ff.
[51] Siehe aus der Entstehungsgeschichte von Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 (1951), 92 f.; wie hier auch BVerfGE 6, 55 (73 f.).
[52] Vgl. ähnlich Jestaedt, FAZ v. 5.7.2017, S. 7.

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