Eventuell gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht, d.h. subjektive Wertungen eines erkennenden – zwingend der Objektivität verpflichteten – Gerichts dürfen nie entscheidungsleitend sein.

In einem Beschluss, der sich mit der zurzeit umstrittenen Frage der Zulässigkeit der gerichtlichen Anordnung eines paritätischen Wechselmodells gegen den erklärten Willen eines Elternteils auseinandersetzt, haben sprachliche Verweise zu einer offensichtlich nach Einschätzung des Gerichts in der Vergangenheit falschen Rechtsprechung und Rechtslage zum Sorgerecht ("Kinder wurden der Mutter zugeschlagen" bzw. dem Vater verblieb ein "Besichtigungsrecht") keinen Raum. Sie schüren unnötige Emotionen und sind in der gebotenen Diskussion ohne jeglichen Nutzen. Viel wichtiger ist es zu betonen, dass sich nicht nur in der Gesellschaft veränderte Wertvorstellungen entwickelt haben, sondern in der familienrechtlichen Praxis eine Generation von Anwälten(innen) und Richter(innen) tätig ist, für die veränderte familiäre Strukturen eine Selbstverständlichkeit darstellen, wie sie für ihre Elterngeneration noch undenkbar gewesen wären. Dies entbindet aber auch nicht von der Verpflichtung, hiermit einhergehende rechtliche Fragen und Entwicklungen des Rechts in der gebotenen Objektivität zu diskutieren. Ergibt sich dabei die Notwendigkeit gesetzlicher Korrekturen, so sind diese allein der gesetzgeberischen Kompetenz vorbehalten und nicht durch persönliche Wertungen zu ersetzen, die derzeit im Gesetz noch keine Grundlage finden.

Die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells sieht das AG Heidelberg als Ausgestaltung des Umgangsrechts, d.h. es soll auf § 1684 Abs. 1 BGB gestützt auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden können, verbunden mit der Notwendigkeit, den hiermit dann einhergehenden weiteren sorgerechtlichen Streitigkeiten "durch Interpretation der einschlägigen Normen" gerecht zu werden.

In der aktuellen Diskussion zur gesetzlichen Grundlage eines Wechselmodells hat u.a. die Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags unter Federführung von Prof. Dr. Coester sehr dezidiert die bestehenden Problembereiche dargestellt[1] unter Verweis darauf, dass § 1684 BGB allein darauf zielt, den persönlichen Kontakt zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil sicherzustellen. Die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells wird davon jedoch nicht erfasst, d.h. eine entsprechende Auslegung widerspricht dem Regelungsrahmen der Norm, unabhängig davon, dass sich aus § 1684 Abs. 3 BGB auch keine sorgerechtlichen Befugnisse ableiten lassen.[2] Dass sich damit gleichzeitig die weitergehende "Interpretation einschlägiger Normen" verbietet, muss nicht gesondert betont werden. Die eindeutigen gesetzlichen Vorgaben können nicht lapidar mit der Argumentation ausgehebelt werden, dass der Verwirklichung des Kindeswohls einfachrechtliche Schranken nicht entgegenstehen dürften. Im Zirkelschluss wird damit lediglich geltendes Recht ausgeblendet und das gewünschte Ergebnis mit der eigenen Meinung begründet. Eine zu erwartende rechtlich fundierte Argumentation wird durch die bloße Behauptung ersetzt, dass das Wechselmodell dem Kindeswohl entspreche.

Woraus das Gericht die Einschätzung herleitet, dass die "heutige Forschungslage eine kurzschlüssige Verneinung der Vereinbarkeit des Wechselmodells mit dem Kindeswohl auch bei entgegenstehendem Willen eines Elternteils verbiete", ist nicht erkennbar. Eine gefestigte empirische Forschung hierzu existiert nicht. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass Forschungsergebnisse, wie sie etwa in den USA entwickelt wurden, unabhängig von deren fachlicher Haltbarkeit, nicht zwingend auf jedes andere Land übertragen werden können.

Zuzustimmen ist dem Amtsgericht, dass Maßstab jeder zu treffenden kindschaftsrechtlichen Entscheidung das Kindeswohl ist. Allein aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit ein Wechselmodell praktiziert wurde, ergibt sich jedoch nicht zwangsläufig, dass auch dessen Fortführung zwingend kindeswohldienlich sein muss. Mit dieser Argumentation wäre jeder Anpassung und Veränderung einer bestehenden bisherigen Regelung die Grundlage entzogen. Es bedarf vielmehr einer genauen Prüfung, ob ein bislang praktiziertes Betreuungsmodell tatsächlich noch als dem Kindeswohl dienlich angesehen werden kann oder vielmehr dringliche, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe eine Anpassung an veränderte Umstände erfordern. Hierbei muss ggf. auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass bei einem Kind eine gravierende Erkrankung eingetreten ist, die bereits per se seinen Lebensablauf, und möglicherweise sogar sein Überleben selbst grundlegend in Frage stellt. Es ist durchaus die Frage erlaubt, ob auch von einem Erwachsenen erwartet würde, zwischen einzelnen Blöcken einer Chemotherapie auch noch wöchentlich zwischen zwei Wohnungen zu pendeln. Zwar wird in der Entscheidungsbegründung die Behauptung aufgestellt, dass u.a. die Bedürfnisse der Kinder für die Beibehaltung des Wechselmodell...

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