Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Unterhaltssituation so zu beurteilen wie bei gleichzeitiger Entscheidung über alle Unterhaltsansprüche.[6] Folglich ist eine aktuelle Mangelfallberechnung auf der Basis der aktuellen Situation unter Einbeziehung aller Unterhaltsberechtigter durchzuführen.

Für die aktuelle Berechnung des für das Kind K 2 zu zahlenden Unterhalts sind folgende Fallkonstellationen zu unterscheiden:

  1. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle tatsächlich gezahlt worden, ohne dass ein Titel vorliegt oder Verzug eingetreten ist.
  2. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle vollstreckbar tituliert worden.
  3. Für K 1 ist in der Vergangenheit nicht gezahlt worden. Es liegt auch kein Titel vor; auch ist kein Verzug eingetreten.
  4. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle in Verzug gesetzt worden, ohne dass tatsächlich eine Zahlung erfolgt ist.
[6] BGH v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16, FamRZ 2019, 1415; BGH v. 18.3.1992 – XII ZR 1/91, FamRZ 1992, 797 ff.

1. Fallgestaltung A

Einfach zu beantworten ist die Fallgestaltung, in der für K 1 zwar kein Titel vorliegt, in der Vergangenheit aber der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle an K 1 tatsächlich gezahlt worden ist. Aktuell liegt ein Mangelfall vor, in dem sich der Unterhalt wie folgt errechnet:

 
Selbstbehalt des Vaters 1.080,00 EUR
Verteilungsmasse im Mangelfall 320,00 EUR
Unterhaltsbetrag für K 1 und K 2 jeweils 160,00 EUR

Wird also jetzt Unterhalt für K 2 geltend gemacht, kann sich der unterhaltspflichtige Vater nicht auf die bislang tatsächlich an K 1 gezahlten Beträge von 252 EUR im Fallbeispiel berufen. Aufgrund der aktuell durchzuführenden Mangelfallberechnung ergibt sich sowohl für K 2 als auch für K 1 nur noch der Unterhaltsbetrag von 160 EUR.

Sofern für die Vergangenheit aufgrund des durch K 2 gegenüber seinem Vater begründeten Verzuges die unterhaltsrechtliche Konkurrenz zwischen K 1 und K 2 eingreift, werden für die Vergangenheit bei der Berechnung des Unterhalts von K 2 auch nur die tatsächlich erfolgten Unterhaltszahlungen an K 1 in dieser Höhe von 160 EUR angerechnet.

Die bisherige höhere Zahlung ändert nichts daran, dass von dem Zeitpunkt an, zu dem der Unterhalt von K 2 durchgesetzt werden kann, der Unterhaltsanspruch des Kindes K 1 so in die Berechnung einzustellen ist wie bei gleichzeitiger Entscheidung über alle Unterhaltsansprüche. Der Vater ist in diesem Fall – anders als bei einem zugunsten K 1 bestehenden Titel – nicht gehindert, seine tatsächlichen Zahlungen an K 1 sofort den neuen Verhältnissen anzupassen und entsprechend zu reduzieren.

2. Fallgestaltung B

Der Unterhalt für das Kind K 1 wird zwar nicht gezahlt (sonst liegt bereits Fallgestaltung A vor), ist aber vollstreckbar tituliert worden zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des Kindes K 2. Zu diesem Zeitpunkt lag kein Mangelfall vor.

Auch in diesem Fall ist eine aktuelle Mangelfallberechnung für beide Kinder vorzunehmen, wenn jetzt Unterhalt für K 2 geltend gemacht wird. Dabei kann sich der unterhaltspflichtige Vater nicht auf den gegenüber K 1 damals titulierten (höheren) Betrag berufen, sodass sich auch hier aus der jetzt durchzuführenden Mangelfallberechnung für K 1 und K 2 ebenfalls nur ein Unterhaltsbetrag von jeweils 160 EUR ergibt. Denn der Unterhaltsanspruch von K 2 wird grundsätzlich nicht dadurch rechtlich beeinträchtigt, dass ein anderer gleichrangiger Unterhaltsberechtigter – hier K 1 – bereits einen weitergehenden rechtskräftigen Titel über seinen Anspruch erwirkt hat und daraus vollstrecken kann.[7]

Praxishinweis:

Auch hier kann K 2 seinen Unterhaltsanspruch allerdings nur von dem Monat an durchsetzen, in dem er seinen Vater in Verzug gesetzt hat.
Der unterhaltspflichtige Vater ist gut beraten, unmittelbar zu diesem Zeitpunkt Schritte gegenüber K 1 einzuleiten mit dem Ziel, seine titulierte Zahlungsverpflichtung herabzusetzen.

Dies kann über eine sog. "negative Mahnung" geschehen, mit der die Rechtsfolgen des § 1613 BGB ausgelöst werden. Das auf eine Herabsetzung des Unterhalts gerichtete Verlangen des Schuldners unterliegt damit spiegelbildlich den Voraussetzungen, für die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann. Erforderlich ist somit

entweder ein Auskunftsverlangen mit dem Ziel der Herabsetzung des Unterhalts gegenüber dem Unterhaltsgläubiger
oder die Aufforderung an den Unterhaltsgläubiger, teilweise oder vollständig auf den titulierten Unterhalt zu verzichten.[8]
Bei einem gerichtlichen Unterhaltstitel des K 1 greift für den Unterhaltspflichtigen im Abänderungsverfahren dann § 238 Abs. 3 S. 3 FamFG.[9] Danach kann der Antrag auf Herabsetzung des Unterhalts rückwirkend ab dem Ersten des auf ein entsprechendes Auskunfts- oder Verzichtsverlangen des A...

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