Anders ist die – in der Praxis nicht seltene – Situation, wenn z.B. mehrere minderjährige Kinder ggf. aus unterschiedlichen Beziehungen Unterhaltsansprüche haben, über die nicht zeitgleich entschieden wird, und das Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils nicht ausreicht, den für jedes Kind nach der Düsseldorfer Tabelle errechneten Unterhalt voll zu zahlen.

Beispielfall:

Der Kindesvater ist seinem aus erster Ehe stammenden, am 3.1.2017 geborenen Kind K 1 zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Am 2.6.2019 wird das Kind K 2 geboren, das ebenfalls Unterhalt einfordert.

Das Einkommen des Vaters reicht nicht aus, den nach seinem Einkommen angemessenen Unterhalt in Höhe des Mindestsatzes der Düsseldorfer Tabelle für beide Kinder zu zahlen.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist weiter, dass für das Kind K 1 bis zum Zeitpunkt der Geburt von K 2 ein deutlich höherer Unterhalt geschuldet war als nach diesem Zeitpunkt, von dem ab die Finanzmittel des Vaters nicht ausreichen, die Unterhaltsansprüche beider Kinder voll zu decken.

Beispielfall:

 
Bisherige Unterhaltsberechnung allein für K 1  
Einkommen Vater 1.400,00 EUR
gezahlter Unterhalt für K1 252,00 EUR
   
Aktuelle Unterhaltsberechnung für K 1 und K 2  
Einkommen Vater 1.400,00 EUR
Tabellenunterhalt für K 1 252,00 EUR
Tabellenunterhalt für K 2 252,00 EUR
verbleiben 896,00 EUR

Da sein Selbstbehalt unterschritten wird, ist der Vater nicht in der Lage, aktuell seinen beiden Kindern den vollen Tabellenunterhalt zu zahlen.

Abstrakt stellt sich hier die Frage, ob und unter welchen Umständen für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen der volle Unterhaltsbedarf eines anderen Berechtigten heranzuziehen ist.

Bei der Behandlung all dieser Fallgestaltungen muss zwischen dem Unterhalt für die Vergangenheit – also den Unterhaltsrückständen – und dem laufenden (und zukünftigen) Unterhalt unterschieden werden.

Praxishinweis:

Zu beachten ist in der Praxis, dass K 2 seinen Unterhaltsanspruch nur von dem Monat an rückwirkend durchsetzen kann, in dem er seinen Vater in Verzug gesetzt hat. Dies kann entweder durch eine bezifferte Zahlungsaufforderung erfolgt sein (§ 286 BGB) oder aber durch ein korrektes Auskunftsverlangen nach § 1613 BGB. In beiden Fällen tritt gem. § 1613 Abs. 1 S. 2 BGB Verzug ab dem Ersten des Monats ein, in dem die entsprechende Aufforderung eingeht.[4] Selbstverständlich muss bei dieser Berechnung überprüft werden, ob der Anspruch von K 1 überhaupt besteht.[5] Die Darlegungslast für das Bestehen eines anderweitigen Unterhaltsanspruchs von K 1 trägt in seinem Unterhaltsverfahren mit K 2 der Vater.

[4] Zum Verzug im Unterhaltsrecht siehe Born, FPR 2013, 513; Keuter, FamRZ 2009, 1024; Viefhues, FuR 2016, 374–381 sowie 451–460; zum Schuldnerverzug und Anwaltshaftung siehe Viefhues, FPR 2013, 541–543.
[5] BGH v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16, FamRZ 2019, 1415, Rn 22: "Danach ist also zunächst zu prüfen, welcher Unterhaltsanspruch jedem Berechtigten bei voller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zustehen würde."

I. Lösungsansatz für die Berechnung des aktuellen Unterhaltsanspruchs

Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Unterhaltssituation so zu beurteilen wie bei gleichzeitiger Entscheidung über alle Unterhaltsansprüche.[6] Folglich ist eine aktuelle Mangelfallberechnung auf der Basis der aktuellen Situation unter Einbeziehung aller Unterhaltsberechtigter durchzuführen.

Für die aktuelle Berechnung des für das Kind K 2 zu zahlenden Unterhalts sind folgende Fallkonstellationen zu unterscheiden:

  1. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle tatsächlich gezahlt worden, ohne dass ein Titel vorliegt oder Verzug eingetreten ist.
  2. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle vollstreckbar tituliert worden.
  3. Für K 1 ist in der Vergangenheit nicht gezahlt worden. Es liegt auch kein Titel vor; auch ist kein Verzug eingetreten.
  4. Für K 1 ist in der Vergangenheit der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle in Verzug gesetzt worden, ohne dass tatsächlich eine Zahlung erfolgt ist.
[6] BGH v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16, FamRZ 2019, 1415; BGH v. 18.3.1992 – XII ZR 1/91, FamRZ 1992, 797 ff.

1. Fallgestaltung A

Einfach zu beantworten ist die Fallgestaltung, in der für K 1 zwar kein Titel vorliegt, in der Vergangenheit aber der damals nach dem Einkommen des Vaters angemessene Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle an K 1 tatsächlich gezahlt worden ist. Aktuell liegt ein Mangelfall vor, in dem sich der Unterhalt wie folgt errechnet:

 
Selbstbehalt des Vaters 1.080,00 EUR
Verteilungsmasse im Mangelfall 320,00 EUR
Unterhaltsbetrag für K 1 und K 2 jeweils 160,00 EUR

Wird also jetzt Unterhalt für K 2 geltend gemacht, kann sich der unterhaltspflichtige Vater nicht auf die bislang tatsächlich an K 1 gezahlten Beträge von 252 EUR im Fallbeispiel berufen. Aufgrund der aktuell durchzuführenden Mangelfallberechnung ergibt sich sowohl für K 2 als auch für K 1 nur noch der Unter...

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