Interessant ist bei näherer Betrachtung die Fallgestaltung, bei der der Vater für das Kind K 1 in der Vergangenheit tatsächlich keinen Unterhalt gezahlt hat und kein Titel besteht, er aber wegen dieser Ansprüche von K 1 in Verzug gesetzt worden ist (§ 1613 BGB).

Beispielfall:

Unterhalt gegenüber K 1 ist in Verzug gesetzt in Höhe des damals geschuldeten Betrages von 252 EUR. Zahlungen sind jedoch zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Nach dem Hinzutreten von K 2 errechnet sich aufgrund der aktuell vorzunehmenden Mangelfallberechnung der Unterhalt für K 1 und K 2 jeweils mit 160 EUR.

Unzweifelhaft ist, dass für K 1 nicht die ursprünglich geschuldeten 252 EUR anzurechnen sind. Fraglich ist aber, ob von diesem Zeitpunkt an die gegenüber K 1 geschuldeten, aber nicht bezahlten 160 EUR zu berücksichtigen sind, weil insoweit Verzug eingetreten ist.

Praxishinweis:

Die Darlegungslast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Verzuges gegenüber K 1 trägt der unterhaltspflichtige Vater, wenn er sich darauf im Unterhaltsstreit mit K 2 berufen will.

Der BGH führt dazu in seiner Entscheidung vom v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16[12] – aus:

Zitat

bb) Ob für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen der volle Unterhaltsbedarf eines Berechtigten auch insoweit heranzuziehen ist, als eine Zahlungspflicht für die Vergangenheit ausscheidet, weil der Unterhaltspflichtige von diesem weiteren gleichrangig Berechtigten nicht in Anspruch genommen worden ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.

(1) Teilweise wird vertreten, dass auch diejenigen Kinder des Unterhaltsverpflichteten mit dem Mindestunterhalt in die Mangelfallberechnung einzustellen sind, denen kein oder ein niedrigerer Unterhalt gezahlt wird (OLG Dresden FuR 2004, 241, 242; OLG Hamm [4. Senat für Familiensachen] FamRZ 2001, 565, 566; Staudinger/Klinkhammer, BGB [2018], § 1609 Rn 11 f. m.w.N. sofern nicht ein zulässiger Verzicht vorliegt).

(2) Überwiegend wird dagegen auf die tatsächlichen Zahlungen abgestellt, soweit eine weitergehende Inanspruchnahme nach § 1613 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist (OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.9.2016 – 13 UF 84/15, juris Rn 33 und FamRZ 2013, 1137, 1139; OLG Koblenz, Beschl. v. 14.5.2014 – 13 UF 107/14, juris Rn 34; OLG Naumburg, Beschl. v. 20.12.2000 – 14 WF 138/00, juris Rn 10; OLG Hamm [2. Senat für Familiensachen] FamRZ 1995, 1488; Palandt/Brudermüller, BGB, 78. Aufl., § 1603 Rn 6, 21; jurisPK-BGB/Viefhues [Stand: 17.4.2019], § 1603 Rn 233; Soergel/Lettmaier, BGB, 13. Aufl., § 1603 Rn 44; Erman/Hammermann, BGB, 15. Aufl., § 1603 Rn 112; Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 13. Aufl., Rn 103).

(3) Für Fälle der gesteigerten Unterhaltspflicht ist die letztgenannte Auffassung zutreffend.

Danach kann festgehalten werden, dass das reine Bestehen des Anspruchs nicht ausreicht und bei tatsächlichen Zahlungen im Ausgangspunkt auf diese (in der anzuerkennenden Höhe) abzustellen ist. Der anschließende Halbsatz "soweit eine weitergehende Inanspruchnahme nach § 1613 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist" könnte im Umkehrschluss nun so ausgelegt werden, dass allein bei Vorliegen des Verzuges auch ohne Zahlung und ohne tatsächliche Durchsetzung der Unterhaltsforderung von K 1 diese zumindest für die Vergangenheit zu berücksichtigen sei.

Bei näherer Betrachtung der einschlägigen Entscheidungen zeigt sich aber hier ein etwas differenzierteres Bild.

Teilweise wird die Berücksichtigung von Unterhaltsforderungen, bei denen lediglich Verzug eingetreten ist, ausdrücklich abgelehnt und die Berücksichtigung nur bei tatsächlicher Zahlung oder Titulierung akzeptiert.[13] In einer Reihe von Entscheidungen wird nur die Fallvariante der tatsächlichen Zahlung und der Titulierung aufgeführt, der Verzug aber nicht erwähnt.[14]

Vielfach wird auch nur allgemein begründet, dass "eine Zahlungspflicht für die Vergangenheit ausscheidet"[15] bzw. dass "keine Inanspruchnahme" erfolgt sei.[16]

Weiter fällt auf, dass die meisten Entscheidungen, die sich mit diesem Rechtsproblem befassen, den jeweiligen "Negativfall“ betreffen, in dem also gerade kein Verzug vorliegt. Dies zeigt sich auch an der Formulierung des Leitsatzes der Entscheidung des BGH vom 22.5.2019 – XII ZB 613/16:[17]"

Zitat

"Müssen von konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen einzelne gemäß § 1613 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden, steht dieses Geld im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB für anderweitigen Mindestkindesunterhalt zur Verfügung."

Den Positivfall, in dem hinsichtlich des Unterhalts des älteren Kindes K 1 zwar keine Zahlung erfolgt ist, aber tatsächlich Verzug gegenüber dem unterhaltspflichtigen Vater begründet worden ist, musste der BGH nicht entscheiden, da in dem Fall ein Titel über den Unterhalt der älteren Kinder vorlag.

Konkret stellt sich die Frage, ob der gegenüber K 1 eingetretene bloße Verzug mit dessen Unterhaltsanspruch bei der Unterhaltsberechnung mit K 2 genauso bewertet werden muss wie die erfolgte Titulierung.

Abgestellt ...

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