Nach Art. 6 Abs. 2 GG haben Eltern das "natürliche Recht" und die "Pflicht" zur "Pflege und Erziehung" ihrer Kinder.[24] Dieses Schutz- und Abwehrrecht ist ein eigenes Grundrecht des jeweiligen Elternteils.[25] Bei der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zum Thema Kindergrundrechte ist zu bedenken, ob und inwieweit sich Verschiebungen zulasten der Elternrechte ergeben könnten.

Die Eltern dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Zitat

"grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen … Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht vermieden werden könnten."[26]

Dem liegt die Annahme zugrunde, dass "in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution".[27] Man kann deshalb auch von einem Vertrauensvorschuss für die Eltern sprechen.

Gewährt wird dieser, weil das Elternrecht "ein Recht im Interesse des Kindes [ist]". Es ist ihnen "um des Kindes willen verbürgt", wie das Bundesverfassungsgericht betont.[28] Das Elternrecht wird deshalb auch als "treuhänderisch"[29] oder "dienend"[30] beschrieben.[31] In diesem Zusammenhang wird zugleich die Bedeutung familiärer Bindung betont.[32] Eltern dürfen staatliche Eingriffe in ihr Erziehungsrecht nicht zuletzt deshalb abwehren, um den privaten Entfaltungsraum ihrer Kinder zu schützen.[33] Deshalb wird auch davon gesprochen, dass Elternrechte einen "Schutzraum"[34] für das Kind bildeten.

Die primäre Verantwortung für das Kindeswohl ist damit den Eltern – und nicht dem Staat (siehe dazu unten unter 11.) zugewiesen. Diese grundgesetzliche Weichenstellung zugunsten der Eltern ist auch vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen staatlicher Vereinnahmung von Kindern durch das Regime der Nationalsozialisten zu sehen.

Kurz und knapp: Elternrechte sind besonders geschützt, weil sie der Entwicklung des Kindes in einer privaten Lebenssphäre dienen. Für das Kindeswohl sind primär die Eltern verantwortlich. Eine Regelung zu finden, die dieses Kernanliegen des Grundgesetzes berücksichtigt, gehört zu den Hauptherausforderungen für den Verfassungsgesetzgeber, wenn er Kinderrechte im Grundgesetz festschreibt.

[24] Siehe dazu Jestaedt, Kommentierung von Art. 6 Abs. 2 u. 3 GG, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1950 ff., 74. u. 75. Lieferung Dezember 1995, 77. Lieferung Oktober 1996, S. 1–375.
[25] BVerfGE 99, 145, Rn 62.
[27] BVerfGE 133, 59, Rn 49.
[28] BVerfGE 121, Rn 70.
[29] BVerfGE 59, 360 (377).
[30] Becker, Kinderrechte in die Verfassung? Zur Aufnahme eines Kindergrundrechts in das Grundgesetz, in: Uhle (Hrsg.), Kinder im Recht. Kinderrechte im Spiegel der Kindesentwicklung, 2019, S. 251 (273).
[31] Kritisch dazu: Wapler, Kinderrechte in der Rechtsordnung – eine Aufgabe für den Gesetzgeber?, in: Röthel/Heiderhoff (Hrsg.), Mehr Kinderrechte? Nutzen und Nachteil, 2018, S. 45 (53 ff.).
[32] BVerfGE, 121, 69, Rn 72.
[33] Wapler, Kinderrechte in der Rechtsordnung – eine Aufgabe für den Gesetzgeber?, in: Röthel/Heiderhoff (Hrsg.), Mehr Kinderrechte? Nutzen und Nachteil, 2018, S. 45 (55).
[34] Heiderhoff, Kinderrechte – ein Überblick, in: Röthel/Heiderhoff (Hrsg.), Mehr Kinderrechte? Nutzen und Nachteil, 2018, S. 9 (11).

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