Das AG Bad Hersfeld hat in den beiden letzten Jahren wiederholt Entscheidungen getroffen, die – gestützt auf § 1666 BGB – in amtswegig eingeleiteten Verfahren ergingen. Im Zusammenhang mit der Nutzung moderner Medien durch ihre Kinder wurden den Eltern umfangreiche und bis ins Detail gehende Auflagen gemacht.[1] Die Verfahren zeichneten sich überwiegend dadurch aus, dass anlässlich sorge- und umgangsrechtlicher Auseinandersetzungen – die im Übrigen keine über einem durchschnittlichen Verfahren liegende Besonderheiten aufwiesen – in der Anhörung der Kinder diese regelmäßig auch "beiläufig" zu ihrer Freizeitgestaltung befragt wurden. Auf der Grundlage dieser Schilderungen hat das Gericht sodann Kindeswohlgefährdungen festgestellt, die es zu den für die Eltern unvorhergesehenen Beschlüssen – überwiegend in Eilverfahren – veranlassten. Erstmals wurde nunmehr eine solche Entscheidung im Beschwerdeverfahren zur Prüfung gestellt. Das OLG Frankfurt hat in einem nicht zu beanstandenden Beschluss klargestellt, dass die konkret angegriffene Entscheidung weder die verfassungsrechtliche noch die einfachgesetzliche Grundlage für den hieraus folgenden Eingriff in das Elternrecht besitzt. Die dabei zur Begründung veranlassten Ausführungen des OLG Frankfurt können inhaltsgleich im Wesentlichen auch für die zeitlich früheren – in entsprechendem Kontext – ergangenen Entscheidungen des AG Bad Hersfeld herangezogen werden.

Für Verfahren in Familiensachen gilt der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG. Danach sind die Gerichte berechtigt, aber auch verpflichtet, alle erforderlichen Tatsachen zu ermitteln, um eine Entscheidung treffen zu können, die dem Kindeswohl gerecht wird.[2] Wesentlicher Bestandteil dieser Amtsermittlung ist die Anhörung des Kindes nach § 159 FamFG.

Erlangt das Gericht im Zuge der Amtsermittlung Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung, so ist von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten, das selbstredend aber auch nur dann als Eilverfahren auszugestalten ist, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ob dies bejaht werden kann, wenn sich nur "gelegentlich" die Einschätzung eines Gerichts anlässlich der Kindesanhörung ergibt, dass es allgemein in der Nutzung eines Smartphones oder des Messengerdienstes "WhatsApp" potentielle Gefahren für das Kind sieht, muss durchaus in Zweifel gezogen werden. Dass darüber hinausgehend § 157 FamFG eine Erörterung der möglichen Gefährdung des Kindeswohls mit den Eltern ausdrücklich vorsieht, d.h. nach dem Willen des Gesetzgebers ganz bewusst die Eltern hierdurch stärker in die Pflicht und intensiver in die Problemlösung eingebunden werden sollen,[3] sei nur am Rande erwähnt, und ebenso auch der Schutz eines Verfahrensbeteiligten vor überraschenden Entscheidungen, wie er als Ausdruck eines fairen Verfahrens nicht zuletzt in Art. 6 EMRK verankert ist.

Bewegt sich ein Gericht im Anwendungsbereich des § 1666 BGB, d.h. der einfachrechtlichen Ausgestaltung des staatlichen Wächteramts nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, so stellt es eine Selbstverständlichkeit dar, dass nicht nur die zentralen verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Entscheidungsfindung beachtet werden, sondern in gleichem Maße eine zu dieser Thematik bestehende gefestigte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen ist.

Pflege und Erziehung eines Kindes sind nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zuvorderst Recht und Pflicht der Eltern und ihnen nicht vom Staat verliehen. Dies bedeutet, dass Eltern grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden können, wie sie etwa die Erziehung ihrer Kinder gestalten.[4] Das Elternrecht ist dabei ein Recht im Interesse und zum Wohl des Kindes, wobei davon ausgegangen wird, dass dieser Elternvorrang dem Kindesinteresse entspricht, da die natürliche Verbundenheit die beste Gewähr dafür gibt, dass die Eltern sich verantwortungsvoll um ihr Kind kümmern und seine Interessen besser wahrnehmen als sonstige Personen oder Institutionen.[5]

Eine Beschränkung dieses natürlichen Elternrechts ist durch das staatliche Wächteramt grundsätzlich möglich. Ein Eingriff darf aber nur so weit reichen, als Gründe des Kindeswohls dies dringend gebieten. Es gehört aber gerade nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramts, für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen, und es muss grundsätzlich in Kauf genommen werden, dass Kinder durch Entscheidungen ihrer Eltern tatsächliche oder vermeintliche Nachteile erleiden. Die sozio-ökonomischen Verhältnisse der Eltern gehören zum Schicksal und dem Lebensrisiko eines Kindes,[6] auch wenn es schwerfällt, dies ggf. im Einzelfall zu akzeptieren. Wenn es keinen Anspruch auf bestmögliche Eltern oder eine optimale Erziehung und Förderung gibt,[7] kann aber auch kein Gericht seine persönlichen weltanschaulichen Vorstellungen zum Maßstab des Kindeswohls machen und diese zwangsweise einer Familie "überstülpen" ohne einhergehende dezidierte Prüfung einer Kind...

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