Seit Jahresanfang wurde eine Vielzahl von Entscheidungen des BVerfG veröffentlicht, die sich mit der Problematik der Herausnahme oder Rückführung von Kindern in die elterliche Obhut auseinandersetzten.[1] Das BVerfG hat in diesen Entscheidungen die in gefestigter Rechtsprechung entwickelten – und zu Recht – strengen Maßstäbe aufrechterhalten, unter deren Voraussetzungen überhaupt nur die Trennung von Kinder und Eltern als stärkster Eingriff in das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG in Betracht kommt. Gleichwohl darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass die Umsetzung einiger der in diesen aktuellsten Entscheidungen enthaltenen Hinweise für die Praxis nicht nur äußerst problematisch ist, sondern sich in der Regel zum Zeitpunkt der zu treffenden konkreten Entscheidung die Situation nicht selten etwas anders darstellt als aus einer doch zeitlich deutlich späteren Betrachtungsperspektive, die insbesondere auch nicht durch einen unmittelbaren Eindruck der Beteiligten bestimmt wird, sondern allein durch die Aktenlage.

In der Entscheidung vom 14.6.2014 leitet das BVerfG den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG u.a. daraus ab, dass in der Beschwerdeinstanz die Kindeswohlgefährdung auf die unsteten Lebensverhältnisse und vor allem die ungeklärte Wohnsituation der Mutter gestützt worden sei, ohne dass deren Sachvortrag, wonach sie zum 1.1.2014 eine Einzimmerwohnung für sich und die Tochter angemietet habe, weiter nachermittelt worden sei. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass in Kindschaftsverfahren – auch in der Beschwerdeinstanz – der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Es stellt sich gleichzeitig aber auch die Frage, ob es ein Indiz für eine strukturierte Lebensführung ist, wenn erst unter dem Eindruck eines gerichtlichen Verfahrens und auch erst 1 ½ Jahre nach Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt die Anmietung eines Wohnraumes erfolgt oder m.a.W. in welcher räumlichen Umgebung hätte man dem Kind ein Aufwachsen ohne den Druck eines gerichtlichen Verfahrens zugemutet, da wohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Mutter ohne diesen im Verfahren aufgebauten Druck auch nur in irgendeiner Form aktiv geworden wäre, um ihre über lange Zeit gezeigte Lethargie zum Schutz der ihr anvertrauten Kinder aufzubrechen. Das im konkreten Fall von der Kindesmutter über einen langen Zeitraum genutzte Frauenobdach mag durchaus für Mütter mit Kindern eingerichtet gewesen sein, eine den Bedürfnissen eines Säuglings gerecht werdende Umgebung dürfte es jedoch wohl nicht sein. Von einem Elternteil, der für sich in Anspruch nimmt, zur Erziehung eines Kindes geeignet zu sein, ist durchaus zu erwarten, dass er – so früh als irgend möglich – alles ihm zur Verfügung Stehende unternimmt, um unter Beweis zu stellen, dass er dieses Kind zu fördern und zu schützen vermag. Grundrechtsträger ist nicht nur der Elternteil, sondern vor allem auch das Kind. Aus welchem Grund soll ein Kind keinen Anspruch auf die bestmögliche Förderung und Unterstützung bei seiner Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit haben, sondern sich dauerhaft mit einer unstrukturierten und von Brüchen bzw. Unzulänglichkeiten geprägten Lebensweise seiner Eltern identifizieren müssen. Dass es für ein Kind ab einem bestimmten Alter praktisch nicht mehr möglich ist, sich aus diesen Strukturen zu lösen, sondern es diese sodann für sein eigenes weiteres Leben übernimmt, liegt auf der Hand. Im Interesse des Kindes, das im Mittelpunkt des Verfahrens steht, ist daher ein unverzügliches Handeln der Eltern zu erwarten und weniger ein ständiges Nachermitteln der Gerichte.

Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit hat das BVerfG sowohl in der vorliegenden Entscheidung als auch den weiteren aktuellen Beschlüssen jeweils moniert, dass vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern mildere Mittel und hier insbesondere die Inanspruchnahme von öffentlichen Hilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII in Erwägung zu ziehen waren. Auch dieser Vorgabe ist dem Grunde nach nichts entgegenzuhalten, außer den sich hierbei praktisch ergebenden Problemen.

Kindschaftsrechtlichen Verfahren, die auf Gefährdungsanzeigen der Jugendämter gestützt werden, ist typischerweise die Vorgeschichte zu eigen, dass den Eltern Hilfsmaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII angeboten wurden und diese Hilfen – sofern sie denn überhaupt angenommen wurden – auch nach längerer Zeit ohne messbaren Erfolg verblieben sind, sei es dass die Eltern die Hilfe eigentlich ablehnen oder zu einer eigenverantwortlichen Umsetzung der ihnen vermittelten Hilfen tatsächlich nicht in der Lage sind. Es stellt sich damit die Frage, auf welchen Zeitrahmen bezogen solche Hilfsmaßnahmen anzubieten sind, bevor klar ist, dass Eltern auch unter fachlicher Hilfe nicht die notwendigen Erziehungskompetenzen erlangt haben und sich im Interesse des Kindes keine dauerhafte Verbesserung in der Herkunftsfamilie ergeben wird, einhergehend mit der klar prognostizierbaren Zukunft des Kindes, das in dieser Umgebung wird bleiben müssen. Bislang wird d...

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