BGB §§ 167, 1626 Abs. 1 S. 2, 1627 S. 1, 1629, 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2

Leitsatz

1. Dem sich aus der gesetzlichen Gesamtvertretung des minderjährigen Kindes durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ergebenden Bedürfnis für eine Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnisse kann durch Erteilung einer Vollmacht entsprochen werden. (Rn 19) (Rn 28)

2. Das Grundverhältnis für diese Vollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis. Daraus ergeben sich insbesondere Kontrollbefugnisse und -pflichten und gegebenenfalls auch Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils. Eines gesonderten Vertrags zwischen den Eltern bedarf es für das Grundverhältnis nicht. (Rn 26)

3. Die Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils kann eine andernfalls notwendige Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Hierfür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern erforderlich, soweit eine solche auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist. (Rn 21)

BGH, Beschl. v. 29.4.2020 – XII ZB 112/19 (OLG Frankfurt/M., AG Bad Homburg)

Aus den Gründen

Gründe: I. [1] Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des im November 2012 geborenen Sohnes N. L. Sie streiten über das Sorgerecht.

[2] Die 1974 geborene Kindesmutter ist kroatische Staatsangehörige, der 1956 geborene Kindesvater besitzt die Staatsangehörigkeit von Bosnien und Herzegowina. Beide leben seit geraumer Zeit in Deutschland und sind getrennt. Der Sohn hat – auch – die deutsche Staatsangehörigkeit. Er lebt bei der Kindesmutter, die inzwischen verheiratet ist.

[3] Die Eltern gaben kurz nach der Geburt übereinstimmende Sorgeerklärungen ab. Sie führten in der Vergangenheit mehrere Verfahren, unter anderem zum Kindesunterhalt und zum Umgangsrecht. Im Jahr 2013 beantragte die Kindesmutter die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich. Das Amtsgericht übertrug ihr in jenem Verfahren mit Zustimmung des Kindesvaters das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht. Im Jahr 2016 beantragte die Kindesmutter erneut die Übertragung der vollständigen elterlichen Sorge. Das Verfahren wurde beendet, nachdem der Kindesvater ihr am 16.2.2017 eine vom Gericht protokollierte umfängliche Vollmacht erteilt hatte.

[4] Im vorliegenden Verfahren hat die Kindesmutter wiederum beantragt, ihr das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Sie beruft sich unter anderem darauf, dass es in verschiedenen Angelegenheiten trotz der erteilten Vollmacht zu Schwierigkeiten bei der Vertretung des Kindes gekommen sei und der Kindesvater anschließend trotz ihrer Bitten nicht mitgewirkt habe. Dieser ist der Meinung, dass es einer Übertragung des Sorgerechts wegen der im Vorverfahren erteilten Vollmacht, jedenfalls aber wegen einer weiteren, während des vorliegenden Verfahrens notariell beurkundeten Vollmacht vom 22.11.2017 nicht bedürfe.

[5] Das Amtsgericht hat das Sorgerecht antragsgemäß der Kindesmutter übertragen. Auf die Beschwerde des Kindesvaters hat das Oberlandesgericht den Antrag der Kindesmutter zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Kindesmutter, mit der sie ihren Antrag weiterverfolgt.

II. [6] Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

[7] 1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2019, 1144 veröffentlicht ist, ist es im Sinne des Kindeswohls ausreichend, dass der Kindesmutter vom Kindesvater eine Vollmacht oder Ermächtigung erteilt wurde und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass er diese zeitnah widerrufen möchte.

[8] Zwar liege es im vorliegenden Fall nahe, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter grundsätzlich dem Kindeswohl am besten entspreche. Zwischen den Eltern bestehe ein Kommunikationskonflikt, der eine gemeinsame Entscheidungsfindung in kindbezogenen Belangen kaum möglich erscheinen lasse, insbesondere weil die Kindesmutter die Elternschaft des Kindesvaters gegenüber dem Sohn nicht offenlegen wolle. Jedoch sei die Übertragung der restlichen Sorgerechtsteile auf die Kindesmutter nicht geboten. Der Kindesvater habe sie hinreichend bevollmächtigt bzw. ermächtigt, so dass sie ohne weitere Übertragung im Rahmen der elterlichen Sorge für den Sohn tätig werden könne.

[9] Bei der Übertragung des Sorgerechts als Eingriff in das Elternrecht des Kindesvaters sei insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Da der Konflikt zwischen den Eltern hier aber nicht so weit gehe, dass diese sich widersprechende Entscheidungen treffen würden, genüge es, der Kindesmutter eine erleichterte Handhabung der Vertretung des Kinde...

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