Der BGH entscheidet in diesem Beschluss den zwischen Rechtsprechung und Literatur bestehenden Meinungsstreit unter welchen Voraussetzungen die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 BGB verhindern kann. Dies ist für die familienrechtliche Praxis von erheblicher Bedeutung. Eine sachgerechte Umsetzung dieser Entscheidung kann einer immer weiter zunehmenden Eskalation von Elternkonflikten in Kindschaftsverfahren entgegenwirken.[1]

Zentral für die praktische Anwendung ist die Aussage des BGH, dass die Bevollmächtigung die Übertragung des alleinigen Sorgerechts entbehrlich machen kann, wenn sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur alleinigen Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Dennoch ist es nicht möglich, auf eine (eingeschränkte) Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern zu verzichten. Eine solche ist allerdings nur insoweit notwendig, als sie auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist.

Aus dieser Formulierung sowie den weiteren Ausführungen des BGH lässt sich entnehmen, dass an eine Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts trotz der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht hohe Anforderungen zu stellen sind.

Insbesondere hat der BGH generellen und grundsätzlichen Einwendungen gegen die Eignung der Sorgerechtsvollmacht eine Absage erteilt. Dies gilt für das Argument, dass bei Erteilung einer Generalvollmacht das Sorgerecht nur noch formal aufrechterhalten werde. Auch sei nicht zu prüfen, wie wahrscheinlich der Widerruf der Vollmacht ist. Genauso wenig ist ein persönlicher Kontakt des vollmachtgebenden Elternteils zum Kind zwingend notwendig. Maßgebend sind vielmehr die im Rahmen einer Einzelfallprüfung heranzuziehenden allgemeinen Kriterien für eine Sorgerechtsübertragung nach § 1671 Abs. 1 BGB, wobei die durch die erteilte Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse zu berücksichtigen sind.

Die bloße Ankündigung der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht genügt nicht. Sie muss spätestens zum Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts tatsächlich erteilt worden sein.

Ferner ergibt sich aus den Ausführungen des BGH, dass die Anforderungen an die Kommunikations- bzw. Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft im Vergleich zu den allgemeinen Kriterien für eine Sorgerechtsübertragung deutlich herabgesetzt sind. Die oft schwierige und für die Beteiligten belastende gemeinsame Entscheidungsfindung entfällt regelmäßig. In den meisten Bereichen bedarf es keiner weiteren Kommunikation und Kooperation der Eltern.

Besonders relevant für die Praxis ist zukünftig die Frage, in welchen Fällen trotz erteilter Sorgerechtsvollmacht die gemeinsame elterliche Sorge ganz oder teilweise aufzulösen ist. Dies dürfte insbesondere dann notwendig werden, wenn die trotz der Erteilung der Sorgerechtsvollmacht notwendige Mitwirkung und Kooperation durch den vollmachtgebenden Elternteil nicht erfolgt.

Dies wird, da präzise gesetzliche Regelungen zur Anwendung einer Sorgerechtsvollmacht im Rechtsverkehr noch fehlen, in der Praxis durchaus vorkommen. In diesem Zusammenhang hält der BGH daran fest, dass sich der Empfänger der Sorgerechtsvollmacht nicht darauf verweisen lassen muss, weitere Verfahren gegen Dritte zu führen.

Auch wenn der vollmachtgebende Elternteil aktiv Entscheidungen des bevollmächtigten Elternteils unterläuft bzw. hintertreibt, stellt die Sorgerechtsvollmacht kein geeignetes milderes Mittel dar. Daneben kann es noch Fälle geben, bei denen es dem bevollmächtigten Elternteil unzumutbar ist, sich auf eine Vollmacht verweisen zu lassen. Denkbar ist dies bei erheblichen, höchstpersönlichen Straftaten gegenüber diesem Elternteil (z.B. Vergewaltigung)[2] oder bei erheblichen auch nach Erteilung der Vollmacht fortdauernden Übergriffen (z.B. Stalking, erhebliche Beleidigungen). Bei einer massiven Ablehnung des vollmachtgebenden Elternteils durch das Kind wird man darauf abstellen können, ob nachvollziehbare Gründe dieser Ablehnung zugrunde liegen und die Ablehnung des Kindes bei der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht zu einer konkreten Beeinträchtigung des Kindeswohls führt. Ob das völlige Fehlen des Kontaktes zwischen dem vollmachtgebenden Elternteil und dem Kind die Eignung einer Sorgerechtsvollmacht entfallen lässt, ist eine Frage des Einzelfalls. Wenn der Elternteil bereit und in der Lage ist, sich die notwendigen Informationen für seine ohnehin nur eingeschränkt notwendige Mitwirkung bzw. zur Wahrnehmung von Kontrollpflichten vom anderen Elternteil bzw. Dritten (z.B. Lehrern und Ärzten) zu verschaffen, dürften die Voraussetzungen für eine Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht vorliegen.[3] Anders kann es sein, wenn im konkreten Einzelfall negative Auswirkungen auf das Kindeswohl festgestellt werden.

Eine weitere für die Praxis relevante Fallkonstellation ist das passive Verhalten des vollmachtgebenden Elternteils in Erziehungsfragen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge