Mit der Entscheidung klärt der BGH für die Praxis die Streitfrage, ob bei einem Anspruch auf Abstammungsklärung nach § 1598a BGB das international anzuwendende Recht sich nach Art. 19 oder 20 EGBGB richtet. Im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung billigt er inhaltlich einen Klärungsanspruch trotz bereits vorliegendem gerichtlich eingeholtem Gutachten auch dann zu, wenn der Antragsteller das vorhergehende Vaterschaftsfeststellungsverfahren verfahrensrechtlich nachlässig geführt hat. Während den Antworten auf das erstgenannte Problem zugestimmt werden kann, erscheinen die Ausführungen zum materiellen Klärungsanspruch nicht überzeugend.

1. Anwendbares Recht

Der BGH wendet das Abstammungsstatut des Art. 19 EGBGB analog an. Weil der Klärungsanspruch keine statusrechtlichen Folgen habe, sondern allein auf die naturwissenschaftlich vermittelte Kenntniserlangung gerichtet sei, passe weder das Abstammungsstatut noch das Anfechtungsstatut des Art. 20 EGBGB unmittelbar. Allerdings sei Art. 19 EGBGB analog anzuwenden. Die für eine Analogie notwendige Regelungslücke bestehe, weil der Gesetzgeber die Notwendigkeit nicht erkannt habe, in Fällen mit Auslandsberührung Regelungen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts zu treffen. In der Tat enthielt der "Entwurf eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren" zwar in Art. 5 Änderungen zum EGBGB, auf das Problem der Anwendbarkeit des Art. 19 oder 20 EGBGB ging die Begründung indes nicht ein.[1]

Umso mehr sollte angesichts der Uneinigkeit in Literatur und Rechtsprechung darüber, welche Kollisionsnorm anzuwenden ist, der Gesetzgeber nunmehr bei der anstehenden Reform des Abstammungsrechts diesbezüglich Klarheit schaffen. Zwar ließe sich argumentieren, für die Praxis sei die Frage ja mit der besprochenen Entscheidung des BGH geklärt. Normsetzung ist und bleibt aber vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers. Die Neuordnung des Abstammungsrechts geht indes nur stockend voran. Der von der Bundesregierung berufene Arbeitskreis Abstammungsrecht hat seinen Abschlussbericht vor mehr als zwei Jahren abgegeben.[2] Der Gesetzgeber hat bislang hierauf lediglich mit einem "Diskussionsteilentwurf Abstammungsrecht" des BMJV reagiert,[3] bei welchem es sich nach den Worten des Parlamentarischen Staatssekretärs Christian Lange vom 16.7.2019 um einen "in der Bundesregierung noch nicht abgestimmten Entwurf" handelt.[4]

Nach diesem Entwurf soll der bisherige § 1598a BGB als § 1600g BGB-DE neu verortet und zudem inhaltlich erheblich erweitert werden, u.a. um einen Klärungsanspruch des Kindes gegen den potentiellen Erzeuger (§ 1600g Abs. 1 Nr. 4 BGB-DE), einen Anspruch des Kindes gegen die als genetische Mutter in Betracht kommende Frau (§ 1600g Abs. 1 Nr. 5 BGB-DE) sowie einen Klärungsanspruch des potentiellen Erzeugers gegen Mutter und Kind (§ 1600g Abs. 1 Nr. 6 BGB-DE). Eine Vorschrift zur Regelung des anwendbaren Rechts bei Auslandsberührung ist nicht vorgesehen. Dabei wäre eine gesetzgeberische Klärung im Sinne der hier durchaus überzeugend begründeten Auffassung des BGH sehr einfach dadurch herbeizuführen, dass in Art. 19 Abs. 1 EGBGB hinter die Worte "Die Abstammung eines Kindes" eingefügt würde "und der Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung".

Die kollisionsrechtliche Regelung durch den Gesetzgeber wird umso dringlicher, als schon, wie die Ausführungen des BGH in Rn 19–21 zeigen, durchaus diskutiert wird, welche Fassung des Art. 19 EGBGB denn Anwendung finden soll. Diese Rechtslage würde bei einer Reform im Sinne des Diskussionsteilentwurfes ohne klare kollisionsrechtliche Regelungen weiter verkompliziert.

2. Klärungsanspruch trotz vorliegenden Abstammungsgutachtens

Kritisch sind m.E. die Ausführungen des BGH zu sehen zur Frage, ob nicht der Klärungsanspruch wegen des im Vorverfahren eingeholten Gutachtens ausgeschlossen ist. Der BGH unterstreicht zunächst (Rn 27) mit Recht, eine Klärung der Abstammung sei regelmäßig dann gegeben, wenn bereits ein Abstammungsgutachten eingeholt worden sei.[5] In diesen Fällen soll grundsätzlich der Klärungsanspruch ausgeschlossen sein. Ausnahmen macht der BGH entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung[6] zum einen bei fehlerhafter Durchführung der Begutachtung und zum anderen, wenn das frühere Gutachten lediglich zu einem Grad der Gewissheit geführt hat, der dem nach aktuellen wissenschaftlichen Standards zu erreichenden eindeutig unterlegen ist. Auch vorliegend hält er eine solche Ausnahme mangels schon erfolgter Abstammungsklärung für gegeben, weil der Antragsteller, gestützt auf ein neues Privatgutachten, geltend macht, das im Ausgangsverfahren eingeholte Gutachten sei fehlerhaft und deshalb nicht verwendbar. Das Argument, der Antragsteller hätte die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens im Vaterschaftsfeststellungsverfahren rügen können (und müssen), lässt der BGH nicht gelten. Er wischt es mit der Begründung vom Tisch, dieses prozessuale Verhalten sei für die Frage, ob die Abs...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge