GG Art. 6 Abs. 2 3 Abs. 1, 2; UN-Kinderrechtskonvention Art. 18 Abs. 1 9 Abs. 3; BGB § 1671 § 1684 § 1697a

Leitsatz

1. Es obliegt dem Gesetzgeber, den einzelnen Elternteilen bestimmte Rechte und Pflichten zuzuordnen, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung fehlen. Seine Gestaltungsbefugnis ist dabei umso größer, je weniger von einer Übereinstimmung zwischen den Eltern und von einer sozialen Beziehung zwischen dem einzelnen Elternteil und dem Kind ausgegangen werden kann. Diesen Gestaltungsspielraum überschreitet der Gesetzgeber nicht dadurch, dass er die Anordnung paritätischer Betreuung nicht als Regelfall vorsieht. Aus Art. 6 Abs. 2 GG und der dazu bislang ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt nicht, dass der Gesetzgeber den Gerichten für die Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennt lebender Eltern eine paritätische Betreuung als Regel vorgeben und eine abweichende gerichtliche Regelung als Ausnahme ausgestalten müsste. (Rn 11, 12)

2. Ob der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überschritten und die Gesetzeslage damit verfassungswidrig wäre, wenn sie die gegen den Willen eines Elternteils getroffene Anordnung paritätischer Betreuung ausschlösse, bedarf ebenso wenig der Entscheidung wie die primär von den Fachgerichten zu klärende Frage, ob derzeit nach dem Fachrecht eine solche Anordnung – sei es im Wege sorgerechtlicher Regelung, sei es als umgangsrechtliche Regelung – ausgeschlossen ist, wenn das Fachgericht die Anordnung eines paritätischen Umgangsrechts auch aus verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Gründen des Kindeswohls ablehnt. (Rn 13)

3. Wenn das Kindeswohl einer paritätischen Betreuung entgegensteht, stellt dies einen sachlichen Grund für etwaige Ungleichbehandlungen durch Sorgerechtsentscheidungen nach § 1671 BGB oder Umgangsregelungen nach § 1684 BGB dar. (Rn 16)

4. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei fehlender Einigkeit der Eltern eine paritätische Betreuung als Regelfall der Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennter Eltern vorzusehen, besteht auch nicht aufgrund völkerrechtskonformer Auslegung des Grundgesetzes im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention. (Rn 18)

5. Zur Auslegung und Anwendung der §§ 1671, 1684 BGB durch die Fachgerichte. (Rn 19 ff.)

(Leitsätze der Redaktion)

BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 24.6.2015 – 1 BvR 486/14 (OLG Brandenburg, AG Potsdam)

1 Gründe:

[1] I. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer vor allem dagegen, dass die Gerichte ihm kein paritätisches Umgangsrecht ("Wechselmodell") eingeräumt haben und beanstandet die zugrunde liegende Gesetzeslage.

[2] 1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines im September 2011 nichtehelich geborenen Kindes. Kurz nach der Geburt des Kindes trennten sich die Eltern. Das Kind lebt im Haushalt der Mutter, die die elterliche Sorge allein ausübt. Anträge des Beschwerdeführers auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitssorge und der gemeinsamen elterlichen Sorge blieben erfolglos.

[3] Mit Beschl. v. 3.5.2013 regelte das Amtsgericht Potsdam den Umgang des Beschwerdeführers mit dem Kind in Abänderung eines zuvor geschlossenen Vergleichs dergestalt, dass dieser in den geraden Kalenderwochen von Freitag 15:00 Uhr bis Montag 8:30 Uhr Umgang mit seinem Sohn haben soll. Außerdem regelte es die Urlaubsumgänge. Da das Verhältnis zwischen den Eltern hoch strittig sei, seien die Umgangswechsel so zu gestalten, dass Begegnungen zwischen den Eltern möglichst vermieden und Übergabesituationen auf ein Minimum reduziert würden.

[4] Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers änderte das Oberlandesgericht mit Beschl. v. 13.11.2013 den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend ab, dass der Beschwerdeführer zusätzlich zu den Umgängen in den geraden Kalenderwochen Umgänge mit dem Kind auch in den ungeraden Kalenderwochen jeweils von Donnerstag 15:00 Uhr bis Freitag 8:30 Uhr haben soll, und traf eine präzisere Ferien- und Feiertagsregelung.

[5] Es sei nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht von der Anordnung eines Wechselmodells abgesehen habe. Das grundrechtlich geschützte Recht des nichtsorgeberechtigten Elternteils auf Umgang mit dem Kind finde eine Beschränkung auch im Elterngrundrecht des anderen, sorgeberechtigten Elternteils. Der Ausgestaltung des Umgangsrechts liege das Leitbild des Residenzmodells zugrunde. Diesem Leitbild entsprächen auch die an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anknüpfenden Regelungen über die unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen des betreuenden und des umgangsberechtigten Elternteils in unter anderem §§ 1687 ff. BGB. Das Umgangsrecht kollidiere mit der elterlichen Befugnis, den Aufenthalt zu bestimmen und finde daher seine Grenze, wo seine Ausübung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes abweichend von der Bestimmung des Sorgeberechtigten führen würde. Das Recht zur Entscheidung, wo sich das Kind gewöhnlich aufhalte, sei kein Ausfluss des Umgangsrechts, sondern ein Teil des Sorgerechts. Der nichtsorgeberechtigte Beschwerdeführer könne...

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