Im Unterhaltsrecht gilt allgemein das Prinzip der Zeitidentität zwischen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit. Die Lebensstellung wird jedoch stark durch langfristig wirkende Abläufe beeinflusst. Alle Beurteilungen einer als angemessen angesehenen Belastung nehmen das im Unterhaltszeitraum tatsächlich oder vermeintlich verfügbare Einkommen zum Maßstab. Akzeptiert werden frühere, ohne Kenntnis der Unterhaltspflicht begründete mehrjährige Zahlungspflichten. Eine Längsschnittbetrachtung, bei der in der Vergangenheit bewältigte Belastungen oder langfristige Zukunftsplanungen berücksichtigt werden, findet hingegen nicht statt. So kann der gut verdienende Single einem Anspruch entgegenhalten, er habe hohe Kredite für eine großzügig geschnittene Immobilie oder den Erwerb eines Sportwagens zu bedienen, während es ohne Bedeutung ist, wenn Betroffene ihrerseits durch die Erziehung und Ausbildung eigener Kinder einen konstitutiven Beitrag zum Erhalt des Sozialstaates geleistet haben.[65]

Dies sei an einem mitten aus dem Leben herausgegriffenen Beispiel verdeutlicht:

Ein Ehepaar, seit Jahrzehnten verheiratet, hat drei Kinder, die sich noch in der Ausbildung befinden und diese etwa zeitgleich abschließen werden. Die Eltern der erst seit wenigen Jahren wieder eingeschränkt erwerbstätigen Ehefrau befinden sich seit 2014 im Pflegeheim. Aus dem Verkauf des elterlichen Hauses wurden 120.000 EUR erlöst. Bei ungedeckten Kosten von monatlich 2.500 EUR ist das Kapital in vier Jahren aufgezehrt. Etwa zeitgleich endet die Ausbildung der Kinder und erstmals seit 25 Jahren braucht unser Paar diese nicht mehr zu unterstützen. Macht nunmehr das Sozialamt übergegangene Ansprüche auf Elternunterhalt geltend, belastet dies die Lebensführung ungleich stärker als bei einem kinderlosen Paar in vergleichbaren Einkommensverhältnissen, bei dem es keine "ehebedingten Nachteile" durch Haushaltsführung und Kinderbetreuung gibt. Wer meint, dies sei kein die angemessene Lebensstellung belastender Umstand, betrachte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wenn dieses schon bei den verhältnismäßig geringen Beiträgen zur Pflegeversicherung die Vorteile kinderlos Versicherter im Verhältnis zu den Nachteilen von Eltern herausgestellt hat, die ihrerseits wegen der Erziehung Nachteile beim Konsum und der Vermögensbildung auf sich genommen haben,[66] kann dieser Gesichtspunkt beim Elternunterhalt nicht einfach übergangen werden.[67]

[65] Vgl. dazu Roth, Kindesunterhalt/Elternunterhalt – die Benachteiligung der Familie, NJW 2004, 2434.
[67] Udsching, in: FS Ruland, S. 559, 569; Brudermüller, Elternunterhalt und Generationensolidarität, in: FS Henrich, 24, 35; Martiny, Verwandtenunterhalt für erwachsene Kinder und alte Eltern, in: Berghahn (Hrsg.), Unterhalt und Existenzsicherung, 2007, 55, 77; Roth, NJW 2004, 2434.

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