Will man einen Ausblick auf die Entwicklung des Ehevertragsrechts in der Zukunft wagen, stellt sich drängend die Frage, ob die Kernbereichslehre des BGH anpassungsbedürftig ist angesichts der Neujustierung des nachehelichen Unterhalts durch die Unterhaltsreform 2008. Die Wertungswidersprüche sind augenscheinlich.

Der BGH ordnet den Betreuungsunterhalt zu Recht dem Kernbereich des geschützten Scheidungsfolgenrechts zu. Der Gesetzgeber jedoch hat die Bedeutung des Betreuungsunterhalts wesentlich reduziert. "Der Kern schmilzt", wie es Schwab[66] so treffend formuliert hat.

Wenn die Eigenbetreuung der Kinder durch die Eltern gesellschaftlich nicht mehr gewünscht wird und rechtliche Obliegenheiten geschaffen werden, Kinder in eine öffentliche Fremdbetreuungseinrichtung zu geben und ein Verstoß dagegen gravierend sanktioniert wird, indem fiktive Einkünfte wegen Verletzung einer Erwerbsobliegenheit angesetzt werden, bleibt für den Kernbereich nur noch wenig Raum.

An zweiter Stelle stehen in der Kernbereichslehre der Unterhalt wegen Alters und der Unterhalt wegen Krankheit.

Der Unterhalt wegen Alters hat ebenfalls wesentlich an Relevanz verloren. Meistens gehen ihm Ansprüche auf Aufstockungsunterhalt voraus, die ihrerseits befristet oder zumindest herabgesetzt werden. Die Unterhaltskette ist in den meisten Fällen durch die Befristung eines Aufstockungsunterhalts bereits gerissen, bevor der Unterhalt wegen Alters zum Tragen kommen könnte. Hinzu kommt die Rechtsprechung des BGH, die ehebedingte Nachteile im Alter bei Rentenbezug i.d.R. verneint. Bis zum Beginn des Scheidungsverfahrens sollen Erwerbsnachteile aus der Rollenwahl während der Ehe über den Versorgungsausgleich ausgeglichen sein, und zwar auch dann, wenn der Versorgungsausgleich nicht zu einem betragsmäßig vollständigen Ausgleich des Nachteils geführt hat.[67] Der Nachteil setzt sich zwar fort, wenn der unterhaltsbedürftige Ehegatte nach dem Ende der Ehezeit ehebedingt gehindert ist, ausreichende Rentenanwartschaften zu erwerben. Dieser Nachteil soll jedoch dadurch ausgeglichen werden, dass er zusätzlichen Altersvorsorgeunterhalt bezogen hat oder hätte geltend machen können.[68] Das bedeutet, dass der Unterhalt wegen Alters kaum mehr praktische Bedeutung hat. Auch hier besteht ein Widerspruch zwischen Unterhaltsrecht und Kernbereichslehre.

Der Altersvorsorgeunterhalt gewinnt aufgrund der erwähnten Rechtsprechung des BGH im Unterhaltsrecht erheblich an Gewicht. Dessen Schutzbedürftigkeit hatte der BGH zwar auch im Rahmen der Inhaltskontrolle anerkannt, indem er die Rangstufe des ihn begleitenden Elementarunterhalts teilt, in dem er ehebedingte Nachteile ausgleichen soll. Fallen Aufstockungs- und Altersvorsorgeunterhalt zusammen, unterfällt er aber nur der vierten Rangstufe.[69] Auch dieser Wertungswiderspruch ist nicht von der Hand zu weisen.

Man kann also – um im Sprachgebrauch der Inhaltskontrolle zu bleiben – von einer Disparität von Inhaltskontrolle und Unterhaltsrecht sprechen. Hier werden wohl Anpassungen in der Rechtsprechung erforderlich sein.

Ob die Rechtsprechung zur weitgehenden Vertragsfreiheit im Güterrecht künftig aufrechterhalten wird im Fall der sog. Funktionsäquivalenz von Versorgungsausgleich und Zugewinnausgleich, ist ebenfalls fraglich. Die Diskussion ist im Fluss.[70]

In der Praxis besteht ein Bedürfnis an erweiterten Gestaltungsspielräumen im Trennungsunterhalt, jedenfalls soweit es ehevertragliche Trennungsvereinbarungen betrifft:

Die Gestaltungssperre der §§ 1614 Abs. 2, 1360a Abs. 3, 1361 Abs. 4 BGB, die Kapitalabfindungen des Trennungsunterhalts praktisch ausschließt, erscheint nicht mehr zeitgemäß. Überdenkenswert erscheint auch das Verzichtsverbot im Trennungsunterhalt, §§ 1614 Abs. 1, 1360a Abs. 3, 1361 Abs. 4 BGB. Hier sollte mehr Gestaltungsspielraum für vertragliche Trennungsvereinbarungen zwischen den Ehegatten eingeräumt werden. Es ist nicht angemessen, den Vertragsparteien angesichts der geringen Spielräume für zulässige Vereinbarungen[71] unnötige rechtliche Unsicherheiten aufzubürden und sie auf ein Gentlemen's Agreement zu verweisen. Es sollte ausreichen, Missbräuche über eine Ausübungskontrolle zu unterbinden.

Anm. d. Red.: Dieser Beitrag ist zunächst erschienen in dem Sammelband "40 Jahre Familienrechtsreform", hrsg. von Götz/Schnitzler. Wir danken dem C.H. Beck Verlag für die freundliche Genehmigung eines Zweitabdrucks in der FF. Der Aufsatz gibt den Veröffentlichungsstand März 2017 wieder.

Autor: Dr. Mathias Grandel , Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Augsburg

FF 9/2019, S. 346 - 356

[66] Schwab, AnwBl. 2009, 557, 561.
[70] Siehe Götz/Schnitzler/Hoffmann, Inhaltskontrolle und Funktionsäquivalenz, in: 40 Jahre Familienrechtsreform, S. 231 ff.

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