In der Literatur fand die weitgehende Vertragsfreiheit gewährende Rechtsprechung des BGH durchaus Zustimmung.[34] Es gab jedoch bereits damals kritische Stimmen, die forderten, dass die Gerichte stärker korrigierend eingreifen müssten. Es sei ein Schutz vor Übervorteilung erforderlich. Der Ehegatte, der infolge Hausarbeit und Kindererziehung ökonomisch vom anderen Ehegatten abhängig sei, müsse geschützt werden. Der Schutz durch die im Übrigen ganz unterschiedlich ausgestalteten Formerfordernisse sei ungenügend.[35] Schon in seiner Entscheidung zur Ehegattenbürgschaft formulierte das BVerfG, dass der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehöre.[36] Daran knüpfte das BVerfG in späteren Entscheidungen an. Waren die ersten gut zwei Jahrzehnte nach der Reform des Familienrechts durch eine weitgehende Freiheit der Privatautonomie von Beschränkungen durch die Rechtsprechung geprägt, änderte sich dies in den folgenden Jahrzehnten. Wegweisend waren dabei die Entscheidungen des BVerfG vom 6.2.2001 (1 BvR 12/92)[37] und des BGH vom 11.2.2004 (XII ZR 265/02).[38] Der Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beschwerdeführerin, die aus früherer Ehe schon ein fünfjähriges Kind betreute und mit ihrem jetzigen Lebensgefährten zusammenlebte, wurde erneut schwanger. Ihr Partner erinnerte sie an seine Erklärung zu Beginn der Beziehung, dass er keine Kinder haben und nicht heiraten wolle. Er begründete seine Haltung mit der Furcht vor Unterhaltsansprüchen der Frau im Falle einer Scheidung angesichts der damals bevorstehenden Reform des Scheidungsrechts. Die Parteien unterzeichneten einen notariellen Ehevertrag, dessen Entwurf die Beschwerdeführerin selbst erstellen ließ, mit folgendem Inhalt:

Für den Fall der Scheidung sollte gelten:

beide Eheleute verzichten wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt, auch für den Fall der Not,
der künftige Ehemann verpflichtet sich, ab Rechtskraft der Scheidung einen Kindesunterhalt für das zu erwartende Kind in Höhe von 150 DM zu bezahlen,
die Ehefrau verpflichtet sich, den Ehemann ab Rechtskraft der Scheidung von allen weitergehenden Unterhaltsansprüchen des zu erwartenden Kindes freizustellen.

Kurz nach dem Vertragsschluss heirateten die Parteien. Die Ehe wurde ca. 13 Jahre später geschieden. Als der Ehemann nach der Scheidung auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen wurde, machte er seinen vertraglichen Freistellungsanspruch gegen die Ehefrau geltend.

Das OLG Düsseldorf hatte der Klage stattgegeben.

Das BVerfG hingegen sah in der vertraglichen Vereinbarung u.a. einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG.

Das Gericht begründete dies wie folgt:

In der Regel lasse zwar der in einem Vertrag zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren habe.[39] Das gelte jedoch nicht, wenn eine der Vertragsparteien ein solches Gewicht habe, dass sie den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen könne. Das sei gegeben, wenn der Vertrag eine besonders einseitige Aufbürdung von vertraglichen Lasten beinhalte und eine erheblich ungleiche Verhandlungsposition der Vertragsparteien vorliege. Der Staat müsse dort Grenzen setzen, "wo der Vertrag nicht Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft ist, sondern eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehepartners wiederspiegelt."[40]

Das BVerfG stellte somit auf subjektive und objektive Elemente ab:

1. Die unterlegene Verhandlungsposition (subjektive Gründe) machte das BVerfG an folgenden Kriterien fest:

Die Schwangerschaft zur Zeit des Vertragsschlusses stelle i.d.R. ein Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition dar, da sich die schwangere Frau vor die Alternative gestellt sehe, in Zukunft entweder alleine für das Kind Sorge zu tragen oder den Kindsvater bei Eheschließung in die Verantwortung einzubinden, wenn auch um den Preis eines sie belastenden Ehevertrages. Berücksichtigt hatte das BVerfG dabei auch, dass noch "gesellschaftliche und soziale Zwänge" bestanden haben, aufgrund derer sich werdende Mütter auch gegenüber dem Kind unter Rechtfertigungsdruck setzen würden. Bezogen auf die 70er Jahre, als der Ehevertrag geschlossen wurde, erwähnt das BVerfG wissenschaftliche Untersuchungen, die sogar noch vom "Stigma der ledig bleibenden Mutter" sprachen.
Ohne Eheschließung hätte der Kindsmutter nur ein eingeschränkter Unterhaltsanspruch zugestanden, der nicht vergleichbar sei mit der unterhaltsrechtlichen Absicherung verheirateter Frauen, die den ehelichen Kindern zugutekommt.
Die ökonomische Perspektive von Müttern nichtehelicher Kinder sei ungünstig. Ihr Einkommen sinke wegen der notwendigen Kinderbetreuung meist um mehr als die Hälfte. Zusätzlich belastet sei die Situation durch eine deutlich schlechtere Zahlungsmoral von Vätern gegenüber nichtehelichen Kindern.
Die Schwangerschaft sei nach BVerfG aber nur ein Indiz...

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