Anmerkung zu dem Urteil des BVerfG vom 19.2.2013 – 1 BvL 1/11; 1 BvR 3247/09

I. Einführung

Die Rechtsprechung des BVerfG zu Lebenspartnerschaften steht seit dem Urteil vom 17.7.2002[1] im Fokus des öffentlichen Interesses. Nach der Feststellung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Lebenspartnerschaft 2002, erklärte es das Gericht in den Entscheidungen vom 7.7.2009[2], 21.7.2010[3], 19.6.2012[4] und 18.7.2012[5] für verfassungswidrig, Lebenspartnern verschiedene finanzielle Vorteile vorzuenthalten, die das Gesetz Ehegatten eingeräumt hatte.[6] Mit Beschluss vom 7.5.2013 wurde der Ausschluss von Lebenspartnern vom Ehegattensplitting für verfassungswidrig erklärt.[7] In dem in der Presse stark beachteten Urteil vom 19.2.2013 erklärte das BVerfG das Verbot der Sukzessivadoption durch einen Lebenspartner für verfassungswidrig.[8] Damit wird zum einen die Angleichung von Ehe und Lebenspartnerschaft weiter fortgesetzt. Lediglich eine Entscheidung zur gemeinschaftlichen Adoption durch Lebenspartner steht noch vor der im Wesentlichen vollständigen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft. Zum anderen würdigt die Entscheidung die Lebenspartnerschaft mit Kindern verfassungsrechtlich als Familie und setzt sich vertieft mit den verfassungsmäßigen Rechten und Pflichten von Eltern und Kindern auseinander.

[1] BVerfGE 105, 313.
[2] BVerfGE 124, 199; vgl. dazu Michael, NJW 2010, 3537, 3539 ff.; Hillgruber, JZ 2010, 41; Grünberger, FPR 2010, 203.
[3] BVerfGE 126, 400.
[6] Vgl. dazu Sanders, FF 2012, 391; Bömelburg, NJW 2012, 2753.
[7] BVerfG NJW 2013, 2257 dazu Sanders, NJW 2013, 2236.

II. Die Entscheidung

1. Das verfassungsrechtliche Problem

Unverheiratete Personen können gemäß § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB ein Kind nur als Einzelperson adoptieren. Da Lebenspartner nicht verheiratet sind, steht ihnen, im Gegensatz zu Ehepaaren, ebenfalls (nur) die Einzeladoption offen. Die gemeinschaftliche Adoption gemäß § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB ist dagegen Ehepaaren vorbehalten. Ehepartnern und Lebenspartnern gleichermaßen offen steht die Stiefkindadoption, d.h. die Annahme des leiblichen Kindes des Partners gemäß § 1741 Abs. 2 S. 3 BGB, § 9 Abs. 7 LPartG.[9] Eine Sukzessivadoption bedeutet, dass eine Einzelperson ein Kind nach § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB adoptiert und anschließend eine weitere Person. Solche Adoptionen sieht das Recht kritisch, weil ein "Weiterreichen" des Kindes von einer Familie in die andere befürchtet wird. Das BGB erlaubt in § 1742 BGB eine Sukzessivadoption nur für den Ehepartner der Person, die das Kind vor der Eheschließung adoptiert hatte. Das Recht des Ehepartners zur Sukzessivadoption erscheint vernünftig, weil das Kind, das in der Regel ohnehin bereits mit seinem Adoptivelternteil und dessen Ehepartner zusammenlebt, durch die Sukzessivadoption noch einen weiteren Elternteil hinzugewinnt. Es wird nicht "weitergereicht", sondern erhält in einem Familienverband zwei vollwertige Eltern, gegen die ihm Unterhalts- und Erbrechte zustehen. Die Möglichkeit der Sukzessivadoption sieht das Gesetz für Lebenspartner im Gegensatz zu Ehepartnern jedoch nicht vor. Dem BVerfG stellte sich die Frage, ob der Ausschluss von Lebenspartnern von der Sukzessivadoption verfassungsrechtlich gerechtfertigt war. Das BVerfG verneinte diese Frage und kam zur Verfassungswidrigkeit der Regelung.

[9] Vgl. dazu Grziwotz, FamFR 2011, 533.

2. Die mündliche Verhandlung

Die Entscheidung der Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses von Lebenspartnern von der Sukzessivadoption kam nicht überraschend. Dies zeigte sich bereits während der mündlichen Verhandlung am 18.12.2012, bei der BVR Prof. Dr. Gabriele Britz, seit Februar 2011 als Verfassungsrichterin Nachfolgerin von Dr. Christine Hohmann-Dennhardt, zum ersten Mal als Berichterstatterin auftrat. Bei der mündlichen Verhandlung bot sich dem Zuschauer ein Bild seltener Einigkeit vor und hinter der Richterbank. Der Bundestag, vertreten durch Volker Beck, erklärte, das Gesetz sei unter der Rot-Grünen Bundesregierung als Kompromiss verabschiedet worden. Kritik sollte bei der Einführung der Lebenspartnerschaft möglichst vermieden werden, um die Akzeptanz des neuen Instituts des Familienrechts zu stärken. Eine Entscheidung des BVerfG zugunsten der Verfassungswidrigkeit der Regelung begrüßte Beck. Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesjustizministerium, verteidigte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ebenfalls nicht, sondern äußerte nur "Interesse" an der Entscheidung. Diese Einlassung rief auf der Richterbank die Frage auf, warum das Ministerium nicht bereits selbst eine Reform der Regelung initiiert hätte. Auch die bei der mündlichen Verhandlung geladenen Entwicklungspsychologen und Experten des Familienrechts waren sich bis auf eine Ausnahme, die Vertreter des Deutschen Familienverbandes, darin einig, dass die Erlaubnis der Sukzessivadoption das Wohl der betroffenen Kinder fördere und nicht gefährde. Zunächst stimmten die Experten überein, dass negative Auswirkungen...

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