Nicht alle europäischen Rechtsordnungen haben sich für die Anerkennung einer Lebenspartnerschaft entschieden. Damit stellt sich die Frage, wie frei die Staaten in ihren rechtspolitischen Entscheidungen sind. Insoweit bestehen in den nationalen Verfassungsrechten ausgedehnte Debatten. Aber auch europäische Regelungen sind von Bedeutung.[108] Entscheidend ist letztlich, dass nach sich immer mehr durchsetzender Auffassung der verfassungs- und menschenrechtliche Schutz von Ehe und Familie die rechtliche Aufwertung und Gleichstellung anderer Lebensformen als der traditionellen Ehe nicht mehr verbietet.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die EMRK ein lebendiges Instrument, das im Licht der aktuellen Lebensbedingungen zu interpretieren ist.[109] Das ist letztlich unvermeidbar, da andernfalls im Laufe der Zeit die Ergebnisse der Rechtsprechung veralten und erstarren würden. Die Klagen über den "Richter als Gesetzgeber" und die Entwicklung detaillierter familienrechtlicher Regeln mit menschenrechtlicher Grundlegung dürften auch in Zukunft vergebens sein. Der EGMR hat schon früh entschieden, dass die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens fällt.[110] Inzwischen kann sie auch den Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK in Anspruch nehmen.[111]

Im Verfahren Schalk und Kopf gegen Österreich hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich entschieden, dass keine staatliche Verpflichtung zur Einführung einer gleichgeschlechtlichen Ehe besteht.[112] Die Eheschließungsfreiheit des Art. 12 EMRK ist noch auf die Ehe von Mann und Frau beschränkt worden. Auch dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK in Verbindung mit dem Schutz von Ehe und Familie wurde keine Verpflichtung zur Einführung eines ehegleichen Rechtsinstituts entnommen. Allerdings ist das Bestehen eigener Regeln im Sinne einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ganz im Sinne des Gerichtshofs.

Nach heutiger Auffassung lässt das Unionsrecht eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung einer Person nicht zu (siehe Art. 19 AEUV).[113] Allerdings enthält es kein unbedingtes Diskriminierungsverbot. Der EuGH ist früher bei der Beurteilung des Ehebegriffs von der Ehe im traditionellen Sinne, also einer verschiedengeschlechtlichen Verbindung von Mann und Frau ausgegangen.[114] Ob und wann ein Wandel erfolgen wird, ist bislang nicht erkennbar.

Allerdings steht der Gesetzgeber der Europäischen Union zunehmend vor dem Problem, wie er sich zur gleichgeschlechtlichen Ehe stellt. Er muss ja Regeln erlassen, die einerseits in den erfassten Bereichen einheitliche Regeln schaffen, anderseits aber der unterschiedlichen Rechtslage in den Mitgliedstaaten gerecht werden. Wenngleich das Eherecht als solches nicht in die Zuständigkeit der Union fällt, taucht das Bestehen einer Ehe doch häufig in anderem Zusammenhang als Voraussetzung oder Vorfrage auf, z.B. im Dienstrecht oder im Internationalen Verfahrensrecht. Ursprünglich gab es keinen Zweifel, dass mit Ehe nur die Verbindung von Mann und Frau gemeint ist. Nunmehr zeichnet sich aber mehr und mehr die Entwicklung eines geschlechtsneutralen Ehebegriffs ab. Er wird zwar noch nicht offen in den Verordnungstexten selbst niedergelegt. Dort wird aber beispielsweise anerkannt, dass es – wie es etwas verklausuliert heißt – Verhältnisse gibt, die nach dem auf sie anwendbaren Recht mit der Ehe oder anderen Familienverhältnissen vergleichbare Wirkungen entfalten.[115] Die Bestimmung dieser Verhältnisse soll wiederum, so heißt es in den Erwägungsgründen zu den Verordnungen, nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich das angerufene Gericht befindet, also der lex fori, erfolgen.[116] Auf diese Weise ist es möglich, dass etwa ein niederländisches Gericht unter Ehe auch die gleichgeschlechtliche Ehe verstehen kann, während das einem polnischen – und gegenwärtig wohl auch noch einem deutschen – Gericht nicht möglich ist.

[108] Näher Kohler/Pintens, Ehe und Familie im europäischen Recht: Entwicklungen und Tendenzen, FamRZ 2007, 1481 ff.
[109] EGMR v. 28.6.2007 – 76240/01 (Wagner u. J.M.W.L. ./. Luxemburg), FamRZ 2007, 1529 Anm. Henrich (1531).
[110] EGMR v. 30.1.1981 – 7525/76 (Dudgeon ./. Vereinigtes Königreich), Serie A Nr. 45 = NJW 1984, 541 = EuGRZ 1983, 488; EGMR v. 26.10.1988 – 10581/83 (Norris ./. Irland), Serie A Nr. 142 = EuGRZ 1992, 477; EGMR v. 22.4.1993 – 15070/89 (Modinos ./. Zypern), Serie A Nr. 259 = ÖJZ 1993, 821.
[111] Ebenso Scherpe, FPR 2010, 211 (213).
[112] EGMR v. 24.6. 2010 – 30141/04 (Schalk and Kopf ./. Austria), FamRZ 2010, 1325 (LS) Anm. Henrich.
[113] Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl EU 2008 C 83/47; Ex-Artikel 13 EGV.
[114] Siehe EuGH v. 31.5.2001, D und Schweden ./. Rat (C 122/99 P und C 125/99 P), Slg. 2001, I 4319. – Näher Tobler, Der Begriff der Ehe im EG-Recht, Die Praxis des Familienrechts 2001, 479 ff.; Bogdan, Registered partnersh...

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