a) Die delikate Kompetenzabgrenzung zwischen Tatsachengericht und Rechtsbeschwerdegericht wird in Rn 44 des Beschlusses formelhaft wiederholt, die Pflichten des Tatsachengerichts bei streitigen Sorgeentscheidungen als Gegenstand der Rechtskontrolle werden in Rn 45–48 dann aber doch recht engmaschig formuliert. Die Verdrängung von tatrichterlichem durch höchstrichterliches Ermessen ist bei Sorgerechtskonflikten immer eine – schon im Eigeninteresse des BGH – ernst zu nehmende Gefahr. Im Ausgangsfall haben eine merkwürdige Einseitigkeit und Rigorosität der Vorinstanz dem BGH seine Intervention allerdings leicht gemacht.

b) Dies betrifft zum einen die Bewertung der jeweiligen Bindungstoleranz der Eltern (Rn 53–58) – ein Kriterium, dem in der Praxis zu Recht immer größere Beachtung geschenkt wird. Es ist unmittelbare Ausprägung der übergreifenden Herrschaft des Kindeswohlprinzips – positive und ungestörte Beziehungen zu jedem der getrennten Elternteile sind die zweitbeste Alternative für das Kind, wenn ihm schon das Erleben familiärer Gemeinsamkeit der Eltern nicht mehr möglich ist.[19] Die starke Gewichtung der jeweiligen Bindungstoleranz in der familiengerichtlichen Praxis ist gut geeignet, "rechtspädagogische Effekte" bei streitenden Eltern (wie auch ihren Anwälten) zu erzielen – Vernichtungs- oder Verdrängungsstrategien, wie sie sich häufig auch im Umgangsboykott äußern, schlagen zulasten des/der Intoleranten bei Sorgekonflikten negativ zu Buche. Im Ausgangsfall hatten sich beide Eltern in eine Ablehnungs- und schließlich Verdrängungshaltung hineinmanipuliert – die einseitige Bewertung zulasten der Mutter konnte keinen Bestand haben.

Hervorhebenswert in diesem Zusammenhang sind die Äußerungen des BGH zur Umzugsproblematik (Rn 54). Es gehört zu den Standardfällen gemischt-nationaler Partnerschaften, dass nach ihrem Zerbrechen (regelmäßig) die Frau mit Kind in ihr Heimatland zurückkehrt bzw. zurückkehren will.[20] Das Gericht wiederholt und bekräftigt die grundsätzliche Umzugsfreiheit des allein sorgeberechtigten oder aufenthaltsbestimmungsberechtigten Elternteils.[21] Mit dieser nunmehr verfestigten Rechtsprechung ist Klarheit geschaffen gegenüber Tendenzen, die Freizügigkeit und Lebensgestaltungsfreiheit des betreuenden Elternteils einzuschränken gegenüber den Interessen des umgangsberechtigten Elternteils.[22] Auf die Motive des Betreuungselternteils oder gar "triftige Gründe" für den Umzug kommt es demnach grundsätzlich nicht an; nur bei Missbrauch der Umzugsfreiheit als Kampfmittel im Partnerstreit überschreitet der Betreuungselternteil die Grenzen seiner Freiheit. Bemerkenswerterweise wendet der BGH diese Grundsätze sowohl (wie hier) auf den Zuzug des Elternteils mit Kind an wie auch auf den Wegzug.[23] Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass mit dieser liberalen Haltung Konflikte heraufbeschworen werden in internationalen Fällen – angesichts der Praxis mancher Staaten insbesondere in den USA, fast schon routinemäßig Sorgezuweisungen an einen Elternteil zu verbinden mit dem Verbot, den Gerichtsstaat ohne Genehmigung des Gerichts oder (alternativ) ohne Einwilligung des anderen Elternteils zu verlassen ("ne-exeat-orders"). Der Umgang mit solchen Regelungen bei Anwendung des HKÜ ist ein ungelöstes Problem.[24] Im Ausgangsfall hatte es sich angesichts des uneingeschränkten Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter nicht gestellt, aber die Auslegungskonflikte bei Art. 3 Abs. 1 HKÜ ("widerrechtliche Verletzung des Sorgerechts") sind deutlich konturiert.

c) Bemerkenswert sind schließlich die Hinweise des Senats zum Gewicht früherer Elternvereinbarungen bei späteren Sorgekonflikten (Rn 76–78). Im Ausgangsfall ging es um die am 6.6.2005 vor deutschen Gerichten erneut bekräftigte Vereinbarung der Eltern, dass der gewöhnliche Kindesaufenthalt bei der Mutter sein solle (Rn 3). Solche Vereinbarungen können eine Rolle spielen in späteren Änderungsverfahren nach § 1696 Abs. 1 BGB, aber auch schon im Verfahren nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn die gemeinsame Sorge als Grundlage der Vereinbarung in Streit gerät.[25] Das Gewicht von elterlichen Sorgevereinbarungen im Rahmen später erforderlich werdender Gerichtsentscheidungen ist ein zentrales Problem, aber weitgehend noch terra incognita im deutschen Familienrecht. Dieses betont einerseits die gerichtliche Kontrolle und Letztverantwortung für Neugestaltungen (§§ 1671 Abs. 2, 1684 Abs. 3, 4 BGB), andererseits aber seit 1998 zunehmend auch das Gewicht der einvernehmlichen Elternregelung als Ziel richterlicher Vermittlungsbemühungen (insbesondere § 156 FamFG),[26] damit aber auch als Grundlage späterer richterlicher Entscheidungen. Klare Antworten insoweit werden erschwert durch die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte (Umstände und Zeitpunkt der Elternvereinbarung; gerichtliche Mitwirkung/Billigung/Übernahme im Beschluss; Änderung der tatsächlichen Verhältnisse), was nur zu variablen Lösungen je nach Sachverhaltsgestaltung führen kann.[27] Es wäre dringend zu wünschen, das...

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