Die Brüssel IIb-VO unterscheidet zwischen Verfahrens- und rechtsgeschäftlichen Scheidungen. Liegt eine Entscheidung eines Gerichts oder einer mitgliedstaatlichen Behörde vor, so ändert sich mit Blick auf die Anerkennung der Scheidung nichts Wesentliches. Verfahrensscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten auch künftig automatisch und inzident anerkannt (Art. 30 Brüssel IIb-VO) und es dürfen lediglich die altbekannten Anerkennungsversagungsgründe (Art. 38 Brüssel IIb-VO), nicht aber die Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 69 Brüssel IIb-VO) oder die Scheidung in der Sache (Art. 71 Brüssel IIb-VO) nachgeprüft werden.

Für öffentliche Urkunden und Parteivereinbarungen über eine Scheidung hat der Unionsgesetzgeber hingegen im Kapitel über die Anerkennung und Vollstreckung einen neuen Abschnitt 4 (Art. 64-68 Brüssel IIb-VO) geschaffen. Die Neuregelung zielt auf eine Gleichstellung von gerichtlichen und rechtsgeschäftlichen Scheidungen ab (Erwägungsgrund 70 S. 1 Brüssel IIb-VO). Künftig werden öffentliche Urkunden und Vereinbarungen über eine Ehescheidung, "die im Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung haben", gem. Art. 65 Abs. 1 S. 1 Brüssel IIb-VO "in anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf." S. 2 verweist dann auf die allgemeinen Bestimmungen zur Anerkennung und Vollstreckung in den Art. 30 ff. Brüssel IIb-VO, sofern in Abschnitt 4 nichts anderes bestimmt ist. Erfasst werden aber nur öffentliche Urkunden und Vereinbarungen, an deren Errichtung oder Eintragung eine Behörde oder hierzu ermächtigte Stelle – worunter auch freiberufliche Notare fallen – mitgewirkt hat, nicht dagegen reine Privatscheidungen. Dies ergibt sich aus den neuen Legaldefinitionen für öffentliche Urkunden und Vereinbarungen in Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie aus Erwägungsgrund 14 S. 4 und 6 Brüssel IIb-VO.

Weil die Anerkennung gem. Art. 65 Abs. 1 S. 1 Brüssel IIb-VO automatisch erfolgt, sind mitgliedstaatliche Anerkennungsverfahren wie dasjenige nach § 107 FamFG gesperrt. Auch den inhaltliche Anerkennungsmaßstab regelt die Verordnung in Art. 68 Abs. 1 Brüssel IIb-VO autonom. Danach kann die Anerkennung nur versagt werden, wenn sie den ordre public des um Anerkennung ersuchten Mitgliedstaats verletzt (lit. a)) oder mit einer anderen Entscheidung, Urkunde oder Vereinbarung unvereinbar ist (lit. b) und c)). Den Mitgliedstaaten bleibt es dabei weiterhin freigestellt, die Anerkennungsversagungsgründe nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen zu prüfen (Erwägungsgrund 54 S. 3 Brüssel IIb-VO). Aus der systematischen Verortung der Art. 69 und 71 Brüssel IIb-VO in dem darauffolgenden Abschnitt 5 ("Sonstige Bestimmungen") folgt, dass auch bei rechtsgeschäftlichen Scheidungen im Anerkennungsstaat weder die Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats noch die Scheidung in der Sache nachgeprüft werden darf. Auch darf die Anerkennung nach Art. 70 Brüssel IIb-VO keinesfalls deshalb versagt werden, weil eine Scheidung nach dem Recht des um Anerkennung ersuchten Staates unter Zugrundlegung desselben Sachverhalts nicht zulässig wäre, z.B. weil dieser Staat keine außergerichtliche Scheidung kennt.

Für die Anerkennung muss gem. Art. 66 Abs. 5 Brüssel IIb-VO zwingend eine Bescheinigung vorgelegt werden, die von einer Behörde des Ursprungsmitgliedstaats ausgestellt wird, welche der Kommission zuvor gem. Art. 103 Brüssel IIb-VO zu notifizieren ist. Der Inhalt der Bescheinigung wird im Einzelnen von Art. 66 Brüssel IIb-VO vorgegeben. Gem. Abs. 1 lit. a) ist das Formblatt in Anhang VIII zu verwenden. Gem. Abs. 2 darf die Bescheinigung nur ausgestellt werden, wenn im Ursprungsmitgliedstaat nach den Regeln der Verordnung die internationale Zuständigkeit für die Scheidung bestand und wenn die Urkunde oder Vereinbarung im Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung hat. Beides muss in der Bescheinigung angegeben werden.

Art. 67 Brüssel IIb-VO enthält Sonderregeln zur Berichtigung und zum Widerruf der Bescheinigung, deren Verfahren sich jeweils nach der lex fori richtet und sowohl auf Antrag als auch von Amts wegen eingeleitet werden kann. Ein Widerruf hat nach Abs. 2 zu erfolgen, wenn die Bescheinigung "gemessen an den in Artikel 66 festgelegten Voraussetzungen zu Unrecht ausgestellt wurde", also dann, wenn die internationale Zuständigkeit nicht gewahrt war oder die Urkunde oder Vereinbarung im Ursprungsmitgliedstaat keine rechtsverbindliche Wirkung hat.

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