Interview mit dem Vorsitzenden der Justizminister/innen-Konferenz Peter Biesenbach, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen

Peter Biesenbach

Schnitzler/FF: Sie sind seit Januar dieses Jahres für ein Jahr Vorsitzender der Justizminister/innen-Konferenz, kurz JUMIKO.

Welche wichtigen Fragen wollen Sie in diesem Jahr ansprechen?

Biesenbach: Die JUMIKO ist für mich so ein wenig das Hochamt der innovativen Ideen in der Rechtspolitik. Nicht weniger als bislang 45 Beschlussvorschläge haben meine Amtskolleginnen und Amtskollegen sowie wir aus Nordrhein-Westfalen zur Tagesordnung angemeldet. Umso bedauerlicher ist es, auch in diesem Frühjahr nicht in Präsenz über die wichtigen und hochinteressanten Berichte diskutieren zu können. Gerne hätten wir uns wie vorgesehen in Bonn als guter Gastgeber präsentiert, doch die Gesundheit aller Beteiligten geht selbstverständlich vor!

Die 10 Anmeldungen Nordrhein-Westfalens betreffen die verschiedensten Rechtsgebiete und bilden die ganze Bandbreite meiner Fachabteilungen ab. Gleich mehrere Beschlussvorschläge knüpfen an die Chancen und Gefahren der Digitalisierung an: So werben wir im Aktienrecht für eine virtuelle Hauptversammlung, während wir etwa im Bereich des Strafrechts Antworten auf das Verbreiten inkriminierter Inhalte in geschlossenen Chatgruppen finden müssen oder die technischen Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen bei schweren Sexualstraftaten verbessern wollen. Unser Modellprojekt zum Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Auswertung von Datenträgern mit mutmaßlich kinderpornographischen Inhalten kann ein Schlüssel zur schnellen Abklärung solcher Tatvorwürfe werden und damit zugleich weitere Straftaten vereiteln helfen.

Außerdem widmen sich 2 unserer Anträge drängenden gesellschaftlichen Fragen: Zum einen müssen wird den zunehmenden Angriffen auf Medienschaffende zeitnah entschlossen begegnen! Wer Journalisten beleidigt, mit Bedrohungen einschüchtert oder gar körperlich attackiert, der greift die Pressefreiheit und damit einen wesentlichen Eckpfeiler der freiheitlich demokratischen Grundordnung an. Zum Anderen ist das Thema Lieferkettengesetz ja zurzeit in aller Munde. Wir streben hier weiter ein Europäisches Lieferkettengesetz an, welches einen klaren Kurs für Unternehmensverantwortung und Menschenrechte setzt.

Schließlich sehen wir im familienrechtlichen Bereich weiterhin einen Reformbedarf bei § 1597a BGB. Die Fälle missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung nehmen nach wie vor zu, eine nachträgliche Korrektur ermöglicht aber das geltende Recht nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht mehr. Deshalb möchte ich Mehrheiten für unseren Gesetzentwurf gewinnen, welcher in einem geänderten Absatz 2 der Vorschrift bei Verdachtsfällen eine frühzeitige Einschaltung der Ausländerbehörde ermöglicht, bis zu deren Abklärung das Anerkennungsverfahren ausgesetzt wird.

Schnitzler/FF: Ihre Vorgängerin, die Bremer Justizsenatorin, Dr. Claudia Schilling, hat bei der Konferenz im November 2020 unter dem Tagesordnungspunkt "Kinder wirksamer schützen" gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung familiengerichtlicher Sachaufklärung schaffen wollen.

Was ist daraus geworden?

Biesenbach: Auf der Herbstkonferenz vom 26. und 27.11.2020 haben die Justizministerinnen und die Justizminister der Länder über die Problematik gesprochen, dass die Ermittlungsbefugnisse der Familiengerichte in Kindschaftssachen, die Kindesschutzmaßnahmen zum Gegenstand haben, noch nicht ausreichen. Insbesondere können die Familiengerichte derzeit keine sachverständige Begutachtung gegen den Willen des zu begutachtenden Elternteils durchsetzen. Weigert sich ein Elternteil, an einer solchen Begutachtung mitzuwirken, kann dies auch nicht zu seinem Nachteil gewertet werden.

Ein Sachverständigengutachten stellt in solchen Kindschaftssachen regelmäßig eine besonders wichtige Erkenntnisquelle für das Familiengericht dar. Können die Eltern, bei denen der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung, eines Missbrauchs oder einer Misshandlung des Kindes besteht, sich der Begutachtung ohne negative Konsequenzen entziehen, so droht die Gefahr, dass die Angelegenheit insoweit nicht hinreichend aufgeklärt werden kann. Das könnte zu Lasten der betroffenen Kinder gehen, weil dann womöglich eigentlich notwendige sorgerechtliche Maßnahmen vom Familiengericht nicht ergriffen werden können. Für solche Eltern wäre es somit kein fernliegender Gedanke, sich erst gar nicht der Begutachtung zu stellen. Ich weiß auch aus der Praxis, dass solche Fälle regelmäßig vorkommen.

Dieser Zustand scheint mir unter Berücksichtigung der anhaltend hohen Zahl an Kindesmisshandlungen und Kindeswohlgefährdungen in Deutschland kaum hinnehmbar zu sein. Das staatliche Wächteramt dürfte gebieten, dass in solchen Fallkonstellationen auch die zwangsweise Begutachtung der Eltern möglich ist. Außerdem erscheint es mir als erwägenswert, eine Weigerung, an der Begutachtung mitzuwirken, zum Nachteil des sich Weigernden werten zu können.

Die Regelungen zur Beweiserhebung finden sich im ...

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