Von einem lösungsorientierten Vorgehen, einem lösungsorientierten Gutachten oder einer lösungsorientierten Begutachtung (letztere Terminologie ist in Sachverständigenkreisen bei etlichen Psychologen aktuell[39]) ist im Gesetz nicht die Rede. Dort ist wörtlich geregelt (§ 63 Abs. 2 FamFG), dass das Gericht in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anordnen kann, dass der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.

Auch Salzgeber[40] hebt hervor, dass das Gesetz nicht den Begriff "Lösungsorientierte Begutachtung" verwendet und spricht demzufolge nur vom "Hinwirken auf Einvernehmen" als einem einvernehmensorientierten Prozess.

Zitat

"Der Prozess des Hinwirkens auf Einvernehmen kann somit nach derzeitigem Kenntnisstand als ein Vorgehen definiert werden, das die Eltern, das Kind, die Pflegeeltern und Großeltern (sofern die beiden letzeren Personengruppen Beteiligte des Verfahrens sind) motiviert und veranlasst, das Einleiten, Durchführen und Festlegen erforderlicher, dem Kindeswohl dienlicher Maßnahmen unter Leitung des Sachverständigen aktiv mitzugestalten und zu vereinbaren."

Das beinhaltet jedoch vermutlich ein anderes Vorgehen als das so genannte lösungsorientierte Vorgehen, das eher elternzentriert ist und möglicherweise sogar Zielkriterien und "Lösungen" vorgibt[41] – wie aktuell, wenn z.B. das Wechselmodell als beste aller denkbaren Lösungen herausgestellt wird –, selbst dann, wenn dies von den unmittelbar Betroffenen, also in erster Linie von den Kindern und Eltern, nicht mitgetragen wird oder eine Hochkonflikhaftigkeit der Eltern ein derartiges auf Kooperation, Respekt und Zusammenarbeit angelegtes Modell konterkariert.

[39] Bergau, Lösungsorientierte Begutachtung als Intervention bei hochstrittiger Trennung und Scheidung, 2014, S. 11 f.; Bergau/Ulrich, Empirische Befunde zur lösungsorientierten Begutachtung als Intervention bei hochstrittiger Trennung und Scheidung, NZFam 2015, 785; Fichtner, Trennungsfamilien – lösungsorientierte Begutachtung und gerichtsnahe Beratung, 2015, S. 4.
[40] Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen, 6. Aufl., Rn 101; ders., Beziehungsförderung durch Begutachtung, NZFam 2015, 788 ff.
[41] Salzgeber, a.a.O., 792.

1. Die gerichtliche Regelung des § 163 Abs. 2 FamFG

Dem Wortlaut von § 163 Abs. 2 FamFG ist zu entnehmen, dass ein Hinwirken auf Einvernehmen mit den Beteiligten sozusagen isoliert – das heißt ohne entsprechenden Beweisbeschluss, ein Gutachten zu erstellen – nicht möglich ist.

Nach überwiegender Rechtsmeinung[42] ist eine förmliche Beweisaufnahme i.S.d. § 30 Abs. 1 FamFG erforderlich, wenn die familiengerichtliche Entscheidung - z.B. in einem Kinderschutzverfahren bei Kindeswohlgefährdung - in einer erheblichen Weise in Grundrechtspositionen der Beteiligten eingreift. Deshalb wird bei der Einholung von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen bei einer Kindeswohlgefährdung regelmäßig ein förmlicher Beweisbeschluss gefasst, der dann Bestandteil des Strengbeweises ist.

[42] Vgl. für viele: Kemper/Scheiber, Hrsg., Familienverfahrensrecht,. Handkommentar, 3. Aufl. 2015, § 163 FamFG, Rn 3; Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 2. Aufl. 2018, § 163 Abs. 2 FamFG Rn 4: Haußleiter, FamFG-Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 163 Rn 11.

2. Definitionen: Einvernehmen und Lösung

Unter "Einvernehmen" im Kontext einer familienrechtspsychologischen Begutachtung können Einigkeit, Übereinstimmung, Einmütigkeit, Einhelligkeit, Einigung, der Konsens, das Einverständnis oder die Zustimmung verstanden werden, einen Konflikt zu bewältigen, während mit einer "Lösung" ein Resultat, eine Bewältigung oder eine Klärung der ursprünglichen Ausgangslage gemeint ist.

Spezielle Strategien beim Hinwirken auf Einvernehmen im Familiengerichtsverfahren können folgende Vorgehensweisen und Fragestellungen beinhalten:

Durchführen einer Mittel-Zweck-Analyse mit dem Ziel, festzustellen, ob die vom Hinwirken auf Einvernehmen Betroffenen Möglichkeiten gefunden haben, um einen für die Beteiligten (in erster Linie Kinder und Eltern) befriedigenden Sollzustand zu erreichen.
Ist der zu erwartende neue Zustand näher an mit dem Kindeswohl verträglichen Zielzuständen?
Sind Barrieren überwunden und umstrukturiert worden, um eine festgefahrene, ineffiziente und kontraproduktive Bewältigungsstrategie zu verlassen?
Sind Analogien zu vergleichbaren Problemlagen genutzt worden, um Parallelen und spezielle Vorgehensweisen bei ähnlichen Problemen aufzuzeigen?

Gegebenenfalls ist allerdings auch ein Abbruch des einvernehmensorientierten Vorgehens erforderlich, wenn die schriftlich vorab fixierte Vereinbarung der Beteiligten nicht eingehalten wird, nach der beispielsweise

zugehört werden muss (aussprechen lassen),
die Berichterstattung, Meinungsäußerung oder Einlassung nicht unterbrochen wird und
keine Beleidigungen oder Drohungen ausgesprochen werden.

Das Hinwirken auf Einvernehmen selbst bewegt sich dann im Rahmen dieses Vorgehens zwischen mehreren Möglichke...

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