Vorbei sind sie, die Zeiten, in denen wir das Boot des Familienmandats sicher durch die Binnengewässer des nationalen Familienrechts durchmanövrierten. Die Lebenssachverhalte werden immer komplexer und vielschichtiger. Vor allem bei Mandaten mit Auslandsbezug kann die Fahrt durch internationale Gewässer schnell zur Odyssee werden.

Konnten wir uns "früher" mit der Klärung der Staatsangehörigkeit der Beteiligten zufrieden geben und wähnten wir uns bei Mandanten mit deutschem Pass bereits im sicheren Hafen, so müssen wir uns jetzt mit dem undefinierten Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" befassen, diesen am Einzelfall bestimmen, eingrenzen und in den richtigen internationalen Kontext stellen. "Richtig" ist in diesem Zusammenhang nicht ganz korrekt: Je nach Perspektive und Interessenlage gibt es durchaus mehrere "richtige" Lösungen.

In Mandaten mit Auslandsbezug hat die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts weitreichende Konsequenzen, insbesondere die "Zementierung" der Internationalen Zuständigkeit und in deren Folge auch des anwendbaren Rechts. Die Europäischen Verordnungen wollen in ihrer Systematik einen Gleichlauf dergestalt schaffen, dass ein international zuständiges Gericht letztlich sein eigenes Recht anwendet, was für alle Verfahrensbeteiligten natürlich die sinnvollste Lösung darstellt.

Die Vorteile für die Mandanten bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts liegen auf der Hand. Wir definieren für unseren Einzelfall den gewöhnlichen Aufenthalt und leiten daraus das für den Mandanten "beste" Forum mit der (hoffentlich) günstigsten lex fori ab.

"Choose a place, convince the judge" – forum shopping vom Feinsten!

Doch die Tücke steckt im Detail. Es gibt keine einheitliche Anwendungssystematik im Zusammenspiel der Europäischen Verordnungen zur Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht in Familiensachen. Die Brüssel IIa-VO bietet für Scheidungssachen einen bunten Strauß alternativer Zuständigkeiten. Das nach der Rom III-VO anzuwendende Recht muss aber nicht zwingend die lex fori sein.

Ebenso beim Unterhalt: es besteht ein Wahlrecht zwischen der Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten oder des Unterhaltsverpflichteten. Das anwendbare Recht wiederum richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten und kann sich somit auch im laufenden Verfahren ändern.

Diese systemimmanente Verwirrung wird meines Erachtens vom Europäischen Verordnungsgeber nicht nur in Kauf genommen, sondern ist durchaus gewollt: Wer durch internationales Gewässer schippern will, möge gefälligst vorab vertraglich regeln, welches Gericht im Falle einer Havarie zuständig und welches Recht anwendbar sein soll. Der Primat der Rechtswahl (die noch bis zur letzten mündlichen Verhandlung getroffen werden kann) zieht sich wie ein roter Faden durch die Verordnungen.

Doch Vorsicht!

Ohne fundierte Kenntnisse des ausländischen materiellen Rechts ist eine Rechtswahl im Termin nicht nur tückisch, sondern grob fahrlässig und unprofessionell. Recht schnell schliddern wir in eine ausländische Rechtsordnung, die Risiken und Haftungsfallen birgt, wie einst Skylla und Charybdis, die Odysseus auf seiner Suche nach den heimischen Gestaden herausforderten.

Daher mein Appell:

Bleiben wir wachsam und mutig, besonnen und professionell. Sowohl in der Beratung, als auch in der Gestaltung etwa von Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen und vor allem im familiengerichtlichen Verfahren behalten wir stets das Interesse unserer Mandanten und vor allem unsere eigene Sicherheit und Klarheit im Fokus. Wird der Ruf nach einer schnellen Rechtswahl zu ausländischem Recht laut, stopfen wir uns Wachs in die Ohren und trotzen dem Lied der Sirenen, um unsere Fahrt durch die internationalen Gewässer des Familienrechts sicher fortzusetzen, um schließlich anzukommen an den Gestaden Ithakas.

Autor: Argiris Balomatis

Argiris Balomatis, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Tübingen

FF 5/2020, S. 177

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