Dr. Mathias Grandel

Wenn es ein Ranking der kompliziertesten Unterhaltsberechnungen geben würde, die das deutsche Unterhaltsrecht auf die Beine zu stellen in der Lage ist, gebührte der Rechtsprechung, wie man richtigerweise bei einem paritätischen Wechselmodell den Kindesunterhalt minderjähriger Kinder berechnet, sicher einer der Spitzenplätze. Unübertroffen sind die Detailbesessenheit und Akribie, mit der sogar die Kindergeldhälften einer unterschiedlichen Behandlung zugeführt werden. Ist die Wohnwertermittlung in Normalfällen schon problematisch, bringt die Ermittlung des konkreten Wohnbedarfs eines von mehreren die Wohnung bewohnenden Mitmenschen Anwalt und Gericht an die Grenzen ihres Vorstellungs- und Bezifferungsvermögens. Deutsches Unterhaltsrecht at its best und an der Gesetzeslage orientiert! Der Hang zum Atomisieren (vermeintlicher) Probleme führt dazu, dass komplexe Verfahren mit zahllosen Detailproblemen kaum mehr zu handeln sind. Man schließt den "Vergleich wegen Unkalkulierbarkeit". Andererseits stehen dem Hang zum Atomisieren schier grenzenlose Abwägungsspielräume gegenüber, die die gefundenen Detaillösungen ohnehin wieder einebnen.

Es ginge vielleicht manches auch einfacher:

Die Argumentation bei erweitertem Umgang geht dahin, dass vom klassischen Modell abgewichen werden müsse, weil die Prämisse "Einer bezahlt, einer betreut" nicht mehr passe, wenn der zahlungspflichtige Elternteil weit mehr als üblicherweise betreue. Er könne doch nicht erheblich betreuen und außerdem noch allein barunterhaltspflichtig sein. Dabei stimmt diese Grundannahme für ganz viele Fälle von vornherein nicht. In all den Fällen, in denen Ehegattenunterhalt bezahlt wird, zahlt der die Kinder betreuende unterhaltsberechtigte Elternteil ohnehin den hälftigen Barunterhalt mit. Das ergibt sich zwingend aus dem Vorwegabzug des Kindesunterhalts vom Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Die Halbteilung über die Additionsmethode wirkt sich dann dahingehend aus, dass (vom Erwerbstätigenbonus einmal abgesehen) sich der Ehegattenunterhalt um die Hälfte des Barunterhalts für die Kinder verringert. Oder anders ausgedrückt: Würde man den Barunterhalt für die Kinder nicht vorab vom Einkommen des Pflichtigen abziehen, hätte der betreuende Ehegatte einen Ehegattenunterhalt, der um die Hälfte des Kindesunterhalts höher wäre. Der betreuende Elternteil betreut nicht nur zu ca. 70 bis 80 % bei herkömmlicher Umgangsregelung, er zahlt auch den hälftigen Barunterhalt mit. Daran stört sich niemand. Man kann auch nicht entgegenhalten, dass dies durch eine eingeschränkte Erwerbsverpflichtung des betreuenden Ehegatten ausgeglichen würde. Abgesehen davon, dass die Erwerbsobliegenheiten in der Praxis durchaus streng bewertet werden, wird das fehlende Eigeneinkommen des Berechtigten durch den Ehegattenunterhalt immer höchstens zur Hälfte ausgeglichen. Wenn nun der pflichtige Elternteil mehr als üblicherweise betreut oder gar ein paritätisches Wechselmodell vorliegt, dann hat man überhaupt erst einmal "paritätische Unterhaltsverhältnisse" erreicht. Im paritätischen Wechselmodell betreuen dann beide hälftig und es zahlen bei Vorwegabzug des Kindesunterhalts vom Einkommen des Pflichtigen beide in gleichem Umfang den Kindesunterhalt.

Es ist daher nicht verständlich, warum man sich genötigt fühlt, in all den Fällen, in denen die Pflicht zum Ehegattenunterhalt besteht oder ohne die Zahlung von Kindesunterhalt bestehen würde, vom üblichen Berechnungssystem in ein derart kompliziertes System ausweichen zu müssen.

Autor: Dr. Mathias Grandel

Dr. Mathias Grandel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Augsburg

FF 5/2019, S. 177

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