Mit Beschluss vom 27.6.2008 hat das BVerfG die hiergegen vom Vater eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Allerdings wurde die Entscheidung des Amtsgerichts als verfassungswidrig angesehen und auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, obschon im Ergebnis gebilligt, aus verfassungsrechtlichen Gründen kritisch angemerkt.

Zwar habe sich die im Falle einer einstweiligen Sorgerechtsregelung zu treffende Abwägung nicht an der Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteiles zu orientieren, sondern vorrangig am Kindeswohl (BVerfG FamRZ 207, 1626). Zweifelhaft sei dabei aber, ob die spontane Herausnahme eines Kindes aus seinem bisherigen Lebensumfeld seinem Wohl diene, insbesondere dann, wenn der in der elterlichen Wohnung verbliebene Elternteil die Betreuung des Kindes zu übernehmen bereit und in der Lage sei (BVerfG FamRZ 1996, 1267).

Die allein auf die "vorläufige Kontinuität" gestützte Entscheidung des Amtsgerichts verkenne wesentliche Einzelfallumstände. Hierzu gehöre, dass für den Vater ebenfalls der Kontinuitätsgrundsatz streite (BVerfG FamRZ 1982, 1179), da er bis zum Auszug der Mutter die Hauptbetreuungsperson des Kindes gewesen sei. Das Amtsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, welches Gewicht dieser in der einvernehmlichen Rollenverteilung der Eltern angelegten Kontinuität im Vergleich zu der von der Mutter eigenmächtig hergestellten Kontinuität unter Kindeswohlaspekten zukomme. Es sei nicht darauf eingegangen, dass das Verhalten eines Elternteils, der plötzlich den Aufenthalt eines Kindes dauerhaft und ohne vorherige Absprache mit dem anderen, mitsorgeberechtigten Elternteil verändere, ein gewichtiger Aspekt im Rahmen der Beurteilung der Erziehungseignung eines Elternteils sei, die das Gericht auch schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit den ihm in der zwangsläufigen Kürze der Zeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten vorläufig beurteilen müsse, zumal wenn – wie hier – der das Kind eigenmächtig verbringende Elternteil dem zurückgelassenen Elternteil zunächst keinen Umgang mit dem Kind gewähre, was auf mangelnde Bindungstoleranz hinweisen könne. Vor diesem Hintergrund hätte die Annahme des AG, im Hinblick auf die Erziehungseignung der Eltern bestünden "keine offenkundigen Unterschiede", näherer Darlegung bedurft. Dies gelte umso mehr, als – bei im Übrigen gleichwertigen äußeren Erziehungsumständen und Bindungen des Kindes – eine bessere Erziehungseignung auch dann den Ausschlag geben könne, wenn diese nicht offenkundig sei. Wenn und weil sich vorläufige Sorgerechtsentscheidungen regelmäßig faktisch zugunsten des Elternteils auswirkten, der das Kind anlässlich der Trennung eigenmächtig mitnehme, müsse der Umstand, dass diese Kontinuität ertrotzt worden sei, schon im Eilverfahren angemessen berücksichtigt und insbesondere auch zu den Auswirkungen eines erneuten Wechsels des Kindes ins Verhältnis gesetzt werden. Gerade wenn das Kind – wie hier – plötzlich aus der Obhut seines bislang hauptsächlich betreuenden Elternteils entrissen und aus seinem bisherigen örtlichen und sozialen Umfeld entfernt werde, entspreche eine rasche Rückkehr des Kindes an den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig dem Kindeswohl. Dies gelte umso mehr, wenn das Kind – wie vorliegend – einer Rückkehr gegenüber offen eingestellt sei und die vom AG angenommene "vorläufige Kontinuität" gerade einmal zwei Monate angedauert habe.

Die Perspektive einer solchen Rückkehr des Kindes hänge freilich eng mit der Verfahrensdauer zusammen. Mit jeder Verfahrensverzögerung drohten das Fortschreiten einer Entfremdung zwischen dem zurückgelassenen Elternteil und dem Kind und eine Verstärkung der ertrotzten Kontinuität. Dies könne rein faktisch zu einer (Vor-)Entscheidung führen, noch bevor ein richterlicher Spruch vorliege. Hinzu komme, dass das kindliche Zeitempfinden nicht den Zeitmaßstäben eines Erwachsenen entspreche. Dies und der Umstand, dass solche Verfahren für die betroffenen Familienmitglieder, deren persönliche Beziehungen hierdurch unmittelbar beeinflusst würden, in der Regel von höchst persönlicher Bedeutsamkeit seien, machten eine besondere Sensibilität für die Problematik der Verfahrensdauer in diesen Verfahren erforderlich (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 689). Es sei daher – im Einzelfall wie auch unter generalpräventiven Aspekten – von großer Bedeutung, in Fällen wie dem vorliegenden Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz vorrangig und beschleunigt zu bearbeiten, um zu vermeiden, dass der Elternteil, der ein Kind eigenmächtig innerstaatlich an einen anderen Ort als den des vormaligen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes verbringe, aus seinem Verhalten ungerechtfertigte Vorteile ziehen könne. Dies bedinge eine unverzügliche und kurzfristige Terminierung der Sache. Das Vorgehen des AG, das den Beteiligten den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zunächst nur zur schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt, dann aber in seiner Entscheidung selbst aus...

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