Die Maßnahmen des Familiengerichts müssen auch angemessen sein.

Die Prüfung der Angemessenheit verlangt eine Abwägung zwischen dem angestrebten Ziel der Abwendung der Kindeswohlgefährdung und dem erforderlichen Eingriff in die Eltern- bzw. Kindesrechte.[123] Danach scheiden alle Maßnahmen aus, die die Eltern und das Kind stärker beeinträchtigen als eine Untätigkeit des Familiengerichtes.[124] Die Relation zwischen der Schwere des Eingriffs und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseinritts muss berücksichtigt werden.[125]

Bei einer Fremdunterbringung müssen die für das Kind negativen Folgen einer Trennung von den leiblichen Eltern berücksichtigt werden.[126] Eine solche ruft regelmäßig eigenständige Belastungen beim Kind hervor. Denn das Kind leidet unter der Trennung möglicherweise selbst dann, wenn sein Wohl bei den Eltern nicht gesichert war.[127] Eine Maßnahme ist nicht ohne Weiteres zur Wahrung des Kindeswohls geeignet, wenn sie ihrerseits erhebliche nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann. Diese negativen Folgen der Trennung des Kindes von seinen Eltern und der Fremdunterbringung müssen durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessern würde.[128] Dabei ist auf die konkrete Fremdunterbringung abzustellen.[129] Angenommen werden kann das, wenn sich der Zustand des Kindes während der Fremdunterbringung im Vergleich zum Aufenthalt im Haushalt der Kindeseltern verbessert.[130] Daran fehlt es häufig, wenn sich die Kindeswohlgefährdung nur auf Teilbereiche bezieht (z.B. Umgangsverweigerung;[131] symbiotische Verbindung von Kind und Elternteil[132]) oder die Gefahr eines Schadens für das Kind nicht mit ziemlicher Sicherheit[133] besteht.

Die Maßnahme darf nicht ausschließlich eine Sanktionierung von Fehlverhalten darstellen. So kann trotz Feststellung einer Kindeswohlgefährdung aufgrund der Weigerung, eine öffentliche Schule zu besuchen, ein Sorgerechtsentzug im Ergebnis nicht angemessen sein.[134] Auch die Fremdunterbringung eines Kindes, um der Umgangsvereitelung durch den betreuenden Elternteil entgegenzuwirken, ist in der Regel nicht angemessen.[135] Zur Frage der Angemessenheit bedarf es Ausführungen in den Entscheidungsgründen.[136]

[123] MüKo-BGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB, § 1666 Rn 164; BGH FamRZ 2019, 598 Rn 33; BVerfG FF 2014, 295 Rn 37, 38.
[124] MüKo-BGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB, § 1666 Rn 164.
[125] Palandt/Götz, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1666 Rn 31; BGH FamRZ 2017, 212 Rn 27.
[129] Riegner, NZFam 2014, 625, 629.
[130] Vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1084 Rn 25.
[131] BGH FamRZ 2012, 99.
[135] BGH FamRZ 2012, 99; vgl. zu sorgerechtlichen Maßnahmen bei Umgangsverweigerung: Schäder, FamRZ 2019, 1672.

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