In seiner jüngeren Rechtsprechung zum Versorgungsausgleich erweckt das Bundesverfassungsgericht[29] den Eindruck, als gehe es nicht mehr allein um den individuellen Ausgleich zwischen früheren Ehegatten, also zwischen zwei konkreten Personen, wie z.B. auch beim Zugewinnausgleich (§§ 1372 ff. BGB). Es tauchen mehr und mehr Begriffe aus dem Versicherungsrecht auf; in Begründungen wird vermehrt der Versicherungsgedanke herangezogen. So billigt das Bundesverfassungsgericht[30] jetzt die "Entreicherung" des Ausgleichspflichtigen schon dann, wenn die korrespondierende "Bereicherung" nicht beim früheren Ehepartner, sondern "nur" bei dessen Versichertengemeinschaft (Solidargemeinschaft) ankommt. Eine echte Bereicherung der Versichertengemeinschaft läge danach aber nur dann vor, wenn die Regelungen über den Versorgungsausgleich strukturell – und nicht bloß angesichts des individuellen Versicherungsverlaufs im Einzelfall – dazu führten, dass die Geschiedenen in der Summe weniger Leistungen erhielten als die anderen Versicherten.

Diese Betrachtung steht in klarem Widerspruch zur früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,[31] wie das Gericht auch einräumt. Diese neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begegnet erheblichen Bedenken. Nach dem abweichenden Minderheitsvotum[32] ist die Grenze des Zumutbaren überschritten, wenn Grundrechtsträgern ein "sinnloses Opfer" abverlangt wird, weil bei oder nach Trennung der gemeinsamen Versorgungsanrechte ein Nachteil des Ausgleichspflichtigen ohne Vorteil beim Ausgleichsberechtigten bleibt. Das Abstellen auf die Versichertengemeinschaft vermag auch deswegen nicht zu überzeugen, weil die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung regelmäßig nur zu etwas mehr als 70 % aus den Versicherten zurechenbaren Leistungen gespeist werden, im Jahr 2016 aber immerhin zu 24,36 % aus Bundesmitteln, also allgemeinen Steuermitteln.[33] Die "Entreicherung" des Ausgleichspflichtigen führt dann jedenfalls teilweise sogar zu einer Entlastung des Bundeshaushalts. In dieser neueren Betrachtung des Bundesverfassungsgerichts kommt der Versorgungsausgleich einer Art Pflichtversicherung sehr nahe. Seine (weitere) Rechtfertigung durch Art. 6 Abs. 1 und 3 Abs. 2 GG erscheint unter diesen Umständen mehr als zweifelhaft.

[29] BVerfGE 136, 152, 168 ff. Rn 39 ff. = FamRZ 2014, 1259 ff. mit krit. Anm. Borth, 1263 ff. = NJW 2014, 2093 ff.
[30] BVerfGE 136, 152, 168 ff. Rn 39 ff.= FamRZ 2014, 1259, 1260 f. = NJW 2014, 2093, 2094.
[31] Vgl. BVerfGE 53, 257, 302 f. = NJW 1980, 692, 695 = ZBR 1980, 174, 177; BVerfGE 87, 348, 356 f. = NJW 1993, 1057; BVerfG FamRZ 1996, 341, 342 = NVwZ 1996, 584 = DVBI 1996, 502; BVerfG NJW 2006, 2177, 2179; BVerfG FamRZ 2014, 1259, 1260 ff.
[32] Gaier, BVerfGE 136, 152, 184 ff. Rn.5 = NJW 2014, 2098 f.
[33] Vgl. Rentenversicherungsbericht 2017 der Bundesregierung, S. 26.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge