Über die Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach § 1570 Abs. 1 S. 1 BGB wird nach der Billigkeit entschieden, so will es § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB. Das Gesetz gibt in § 1570 Abs. 1 S. 3 BGB zwei Gesichtspunkte vor: die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Beide Kriterien sind "zu berücksichtigen". Bei unbefangener Betrachtung des Gesetzestextes rangieren die "Belange des Kindes" an erster Stelle. Das Kindeswohl ist oberstes Gebot der Billigkeitsprüfung und dabei sind Möglichkeiten der Fremdbetreuung zu berücksichtigen. Dieser Sichtweise entsprechen auch die Motive des Gesetzes. Die Möglichkeiten der Kinderbetreuung müssen mit dem Kindeswohl vereinbar sein und erst wenn eine "kindgerechte Betreuungsmöglichkeit" besteht, kann von dem betreuenden Elternteil eine Erwerbstätigkeit erwartet werden.[89]

Auch hier, wie beim Altersphasenmodell, ist der BGH über die Vorgaben der Legislative hinausgegangen. Er entnimmt dem Wortlaut und wohl auch dem Sinn der Vorschrift ein Selbstbetreuungsrecht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres und danach eine "Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit" [Hervorhebung durch den Verf.].[90] In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine solche Einrichtung besucht, oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen. Der BGH weiter:

Zitat

"Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist deswegen stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Einrichtungen gesichert werden könnte".[91]

Damit hat der BGH die Gewichte etwas verschoben: primär ist die Möglichkeit der Kollektiv- oder Fremdbetreuung zu prüfen, die, wenn sie möglich ist, dem Kindeswohl in der Regel entspricht. Diese Betreuungsmöglichkeit ist nicht "zu berücksichtigen", sondern im Rahmen der Billigkeit an erster Stelle zu prüfen. Es wird nicht gefragt, ob die Belange des Kindes schon eine Fremdbetreuung zulassen, sondern ob die stets vorrangig in Anspruch zu nehmende Möglichkeit der Fremdbetreuung dem Kindeswohl entspricht, was bei institutionellen Einrichtungen wie Kindergärten oder Kinderhorten in aller Regel auch bejaht wird.

Ob in diesem Zusammenhang ein Betreuungsangebot des anderen Elternteils in Anspruch zu nehmen ist, hat der BGH bejaht, hat allerdings dieses Angebot bestimmten Prämissen unterworfen.[92] Es liegt auf der Hand, dass das Betreuungsangebot des anderen Elternteils dem Kontinuitätsprinzip zuwiderlaufen kann. Dem Kind werden wechselnde Betreuungszuständigkeiten zugemutet, wenn es morgens von der Mutter in die Einrichtung gebracht wird, nachmittags vom Vater zur Überbrückung von Betreuungsengpässen abgeholt und womöglich wechselweise während der Woche von den (verschiedenen) Großeltern betreut wird, nur, um der Ehefrau die Vollerwerbstätigkeit zu ermöglichen und den Vater ganz oder teilweise von der Unterhaltspflicht zu entlasten. Zunächst soll ein Blick auf die Rechtsprechung gewagt werden, denn Betreuungsangebote waren bereits mehrfach Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen. Sodann soll untersucht werden, ob für das Kontinuitätsprinzip durch diese Rechtsprechung akute Gefahr droht.

[89] BT-Drucks 16/6980, S. 9.
[90] BGH FamRZ 2009, 770 Rn 26.
[91] BGH FamRZ 2009, 770 Rn 27.
[92] BGH FamRZ 2010, 1880 Rn 28; BGH FamRZ 2012, 1040 Rn 19 m. Anm. Borth.

1. Die Rechtsprechung zum Betreuungsangebot

Im Fall des OLG Hamm[93] hatte die Mutter als Flugbegleiterin in "Monatsteilzeit" gearbeitet, also einen Monat vollschichtig, einen Monat überhaupt nicht. Das Angebot des barunterhaltspflichtigen Vaters, die Kinderbetreuung während der beruflichen Ortsabwesenheit der Mutter zu übernehmen, hat das Gericht nicht als dem Kindeswohl entsprechende Betreuungsalternative gelten lassen. Es sah erheblich entgegenstehende Kindesbelange, weil dies zu einer "Dreiteilung" geführt hätte, in welcher die Kinder Monat für Monat bis zu fünf Mal zwischen den verschiedenen Haushalten der Eltern und Großeltern wechseln müssten. Dies tangiere das Wohl der Kinder, die damit einen für ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden unbedingt notwendigen Lebensmittelpunkt verlieren würden. Der Entscheidung kann man nur uneingeschränkt zustimmen. Sie ist an den Belangen des Kindes ausgerichtet und sie steht durchaus auf dem Boden der Rechtsprechung des BGH, der auch in diesem Zusammenhang dem Kindeswohl höchste Priorität einräumt. Im Ergebnis also brauchte sich die Mutter nicht auf das Betreuungsangebot des Vaters einlassen.

Ein weiterer Fall des OLG Hamm[94] betrifft zwar den Kindesunterhalt, kann jedoch auf unser Problem des Betreuungsunterhalts konvertiert werden. Die Parteien waren zu einem einvernehmlichen Handeln, wie es bei der Kinderbetreuung durch beide Eltern nach deren Trennung erforderlich ist, nicht in...

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