Die vor der Neuregelung zum 1.1.2008 bestehende, unterschiedliche Ausgestaltung der Betreuungstatbestände nach § 1570 BGB und § 1615l BGB und die damit verbundene Differenzierung hielt der BGH in der Entscheidung vom 5.7.2006 noch für verfassungskonform.[8] Zum einen bezwecke der Betreuungsunterhalt, den betreuenden Elternteil von der Erwerbstätigkeit freizustellen, wenn das Kind der Pflege und der Erziehung bedarf und so interpretiert diene der Anspruch dem Zweck, die Elternverantwortung als ein wesensbestimmendes Element des Elternrechts wahrzunehmen. Allerdings – und darauf hob der BGH besonders ab – bedient der nacheheliche Betreuungsunterhalt auch das Postulat nachehelicher Solidarität im Sinne einer reziproken nachehelichen Anerkennung des ursprünglich gemeinsam gefassten Lebensplans. Die entscheidenden Sätze der Entscheidung lauten:

Zitat

"Den Unterhaltstatbeständen des § 1570 BGB und des § 1615l Abs. 2 BGB ist zwar gemeinsam, dass der Elternteil, bei dem sich das gemeinsame Kind befindet, von einer Erwerbstätigkeit freigestellt werden soll, und zwar so lange und so weit das Kind der Pflege und Erziehung bedarf. In dieser Sicht dient auch der Unterhaltsanspruch des bedürftigen Ehegatten zunächst der Sicherung der Wahrnehmung seiner Elternverantwortung, die einen wesensbestimmenden Bestandteil des Elternrechts bildet. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass dem geschiedenen Ehegatten wegen der nachehelichen Solidarität" [Hervorhebung durch den Verf.], die aus der Ehe herrührt, Unterhalt auch um seiner selbst willen gewährt wird, was auf die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften nicht entsprechend übertragbar ist. Für einen Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 BGB fehlt die besondere Bindung der Eltern durch die Ehe und die fortdauernde eheliche Solidarität nach der Scheidung“.[9]

Der BGH hatte also den Betreuungsunterhalt auf doppelte Weise abgesichert: Einmal als Freistellung von der Erwerbstätigkeit, so lange und so weit das Kind der Pflege und der Erziehung bedarf – also mit dem Gedanken des Kindeswohls – und zum zweiten aus der nachehelichen Solidarität – Unterhalt für den anderen Ehegatten um seiner selbst willen.[10] Dieser zweifache Begründungsansatz konnte unterschiedliche, vom anderen Elternteil zu finanzierende Betreuungszeiten im Kleinkindalter legitimieren, beim außerhalb der Ehe geborenen Kind als Basisunterhalt drei Jahre, beim ehelich geborenen Kind nach dem Altersphasenmodell acht Jahre. Das bedeutete im Klartext: Die nicht verheiratete betreuende Mutter trifft eine Erwerbsobliegenheit ab dem vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes, die Ehefrau ab dem vollendeten achten Lebensjahr. Die Privilegierung, welche das Motiv der nachehelichen Solidarität bewirkte, hat beim Ehegattenunterhalt also die Verlängerung der Betreuungszeit zur Folge.[11]

Bemerkenswerte Stationen der weiteren Entwicklung[12] sind das Urteil des BVerfG vom 28.7.2007[13] und das zum 1.1.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007,[14] welches die Tatbestände der §§ 1570 und 1615l BGB im Sinne eines einheitlichen Betreuungsunterhalts angleicht. Für unseren thematischen Kontext Unterhalt/Betreuung liefert die zuletzt genannte Entscheidung des BVerfG entscheidende Hinweise für das Konstruktionsprinzip des Betreuungsunterhalts, die interessanterweise bereits in der Entscheidung des BVerfG vom 14.7.1981[15] thematisiert werden, vom BGH in der genannten Entscheidung vom 5.7.2006[16] nicht aufgegriffen wurden.

Wesentlicher Dreh- und Angelpunkt ist die vom BVerfG in der genannten Entscheidung vorgegebene Engführung des Betreuungsunterhalts aus der verfassungsrechtlich allein maßgebenden Perspektive des Kindes.[17] Aus dieser Sicht sind Erwägungen zum Prinzip der nachehelichen Solidarität irrelevant und können einen Betreuungsunterhaltsanspruch auch nicht tragen. Die ausschließlich dem Kind zugute kommende Betreuungszeit lässt sich in diesem Begründungskontext nicht ehesolidarisch aufrüsten; denn aus der Sicht des zu betreuenden Kindes ist die konkrete Verbindung der Eltern, ob staatlich legitimiert oder nicht, eine quantité négligeable. Auch hier die entscheidenden Sätze des BVerfG:

Zitat

"… der Betreuungsunterhalt wird aus Gründen des Kindeswohls gewährt. Er ermöglicht dem Elternteil, sich persönlich dem Kind zuwenden zu können, so weit das Kind der Pflege oder Erziehung bedarf und deshalb vom Betreuenden nicht erwartet werden kann, dass er einer Erwerbstätigkeit nachgeht, wie es in beiden Vorschriften insoweit gleichlautend formuliert ist. Der Unterhalt ist damit am Kind und seinem Bedarf an persönlicher Betreuung ausgerichtet und prägt die Umstände, unter denen es aufwächst".[18]

Für Erwägungen der nachehelichen Solidarität ist kein Raum:

Zitat

"Es trifft nicht zu, dass der Anspruch aus § 1570 BGB nicht allein wegen der Kinderbetreuung eingeräumt worden ist, vielmehr darüber hinaus aufgrund der nachehelichen Solidarität den geschiedenen Ehegatten in die Lage versetzen soll, bei...

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