I. Die Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG[1] hat die Rechtsprechung des BGH zu § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB im Sinne der wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse, namentlich die Bestimmung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten unter Einbeziehung des Unterhaltsanspruchs des neuen Ehegatten nach der Drittelmethode, als verfassungswidrig beanstandet. Sie ersetze das Konzept des Gesetzgebers durch ein eigenes Modell. Dies überschreite die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung und verletze Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Bei der Reform durch das UÄndG 2007 habe der Gesetzgeber an der Struktur des nachehelichen Unterhaltsrechts festgehalten. Danach seien Bedarf und Leistungsfähigkeit auseinanderzuhalten. Die unverändert geltende Vorschrift des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB sei der Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung. Mit der Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den "ehelichen Lebensverhältnissen" habe der Gesetzgeber auf die individuellen Einkommensverhältnisse der Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidung Bezug genommen. Soweit die Ehegatten in der Ehe durch gemeinsame Leistung einen höheren Status erreicht hätten, solle der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch nach der Scheidung einen gleichwertigen Anteil am Einkommen erhalten. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578b BGB nicht von nach der Rechtskraft der Scheidung eintretenden Änderungen der Lebensverhältnisse des Schuldners abhängig gemacht, wie etwa dem Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter. Er habe den Vorrang der geschiedenen Ehefrau durch die Neuregelung der §§ 1569, 1578b und 1609 BGB abgebaut und damit der Gleichrangigkeit der alten und der neuen Ehe unter den derzeit geltenden gesellschaftlichen Verhältnissen hinreichend Rechnung getragen. Modifikationen des Grundsatzes der gleichen Teilhabe seien nicht ausgeschlossen.

[1] BverfG, Beschl. v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10 (Abdruck folgt in FF 2011, Heft 4).

II. Eheliche Lebensverhältnisse (§ 1578 BGB)

1. Einkommen

Nach der Ansicht des BVerfG ist bei der Auslegung und Anwendung des nachehelichen Unterhaltsrechts zwischen Bedarf nach § 1578 BGB und Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB zu trennen. Wie in der früheren Rechtsprechung des BGH sind für den Bedarf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung maßgebend. Nach der Scheidung eintretende Verhältnisse sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie in den ehelichen Lebensverhältnissen angelegt sind. Dies ist bei gewöhnlichen beruflichen Einkommenssteigerungen zu bejahen, bei Karrieresprüngen, beim Splittingvorteil und anderen allein auf die neue Ehe zurückzuführenden Einkommensvorteilen zu verneinen. In der Ehe angelegt ist auch ein Surrogatseinkommen, das etwa anstelle der früheren Haushaltsführung oder anstelle eines Wohnvorteils während der Ehe getreten ist. Soweit es um das positive Einkommen geht, hat der BGH seine frühere Rechtsprechung durch seine Lehre von den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen allenfalls in der Formulierung, nicht aber in der Sache geändert.

2. Verbindlichkeiten

Verbindlichkeiten beeinflussen den Bedarf nach § 1578 BGB nur, soweit sie die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben, und zwar so lange, bis sie normalerweise oder vereinbarungsgemäß zurückgeführt sind.[2] Dies ist bei trennungs- und scheidungsbedingten Verbindlichkeiten zu verneinen, insbesondere bei nach der Scheidung entstandenen Unterhaltspflichten gegenüber Kindern, einem betreuenden nichtehelichen Elternteil oder einem neuen Ehegatten. Gleiches gilt grundsätzlich für sonstige neue Verbindlichkeiten, etwa aus Darlehen.

 

Beispiel:

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass z.B. bei einem Einkommen des Ehemanns von 3.000 EUR und der Ehefrau von 1.000 EUR und bei einem vor der Scheidung geborenen Kind der 1. Alterstufe des Pflichtigen der Bedarf nach § 1578 BGB sich wie folgt bestimmt:

3.000 EUR – (381 EUR – 92 EUR halbes Kindergeld =) 289 EUR = 2.711 EUR – 10 % (Erwerbstätigenbonus) = 2.440 EUR

1.000 EUR – 10 % = 900 EUR

2.440 EUR + 900 EUR = 3.340 EUR : 2 = 1.670 EUR Bedarf der Frau (§ 1578 BGB)

Darauf angerechnet eigenes Einkommen von 900 EUR (§ 1577 BGB) ergibt 770 EUR Unterhaltsanspruch.

[2] Einzelheiten bei Graba, in: Festschrift für Henrich, 2000, S. 177, 198 ff.

III. Beschränkung nach Billigkeit (§ 1578b BGB)

Die Möglichkeit der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578b BGB wird, wie es in dem Beschluss des BVerfG heißt, nicht vom Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter abhängig gemacht. Vielmehr orientiert sich die Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf an den ehelichen Lebensverhältnissen, indem sie daran geknüpft wird, ob durch die Ehe für den Unterhaltsberechtigten Nachteile eingetreten sind, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Dies wird man so verstehen müssen, dass nach der Scheidung neu eingetretene Unterhaltslasten nicht nur wegen des neuen Ehegatten, sondern auch wegen eines Kindes oder eines betreuenden nichtehelichen Elternteils für die Entscheidung, ob der volle Unterhalt nach § 1578b BGB zu begrenzen ist, keine Rolle spielen. Die wirtschaftliche Lage des Verpflichteten kann nur berücksichtigt werden, soweit sie mit der geschiedenen...

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